Kindness Economy: People – Planet – Profit

Wir Deutschen gelten im Ausland nicht gerade als das freundlichste Volk der Welt. Daher ist es immer gut, zu schauen, wie die Menschen im angelsächsischen oder asiatischen Raum miteinander umgehen. Ein wahrer Augenöffner ist auch das megafrische Sachbuch der gebürtigen Irin Oona Horx Strathern. In „Kindness Economy“ seziert sie alle Formen der Freundlichkeit und erklärt, was für die Wirtschaft drin ist, wenn sie Kindness vorherrschen lässt. Beispiele inklusive. Wir hatten das Privileg, Oona bei unserem „Read & Meet“ in Frankfurt persönlich kennenzulernen – und sie mit ein paar Fragen zu ihrem spannenden Thema zu löchern.

Oona Horx Strathern

Kindness Economy -Oona im Interview bei COPETRI

Oona, du kümmerst dich seit mehr als 30 Jahren um Trends. Ist „Kindness Economy“ ein Trend, den du erkannt hast – und sonst vielleicht niemand? 

Den Begriff „Kindness Economy“ habe ich bei Mary Portas, einer britischen Retail Beraterin, aufgeschnappt. Den habe ich dann genommen, weiterentwickelt und auch an die Community angepasst.  „Kindness Economy“ ist ein Trend mit vielen Facetten und Blickwinkeln. Es ist immer spannend zu sehen, wenn man einen Trend erforscht, was alles in so ein kleines Thema hineinpasst – und wie man das noch weiter auffächern kann. 

Du kommst aus dem angelsächsischen Raum, bist in London aufgewachsen. Dort wird „Kindness“ stärker gelebt als bei uns. Hat dich das zu diesem Buch inspiriert? 

Ich komme ursprünglich aus Irland und lebe jetzt in Österreich. Es gibt kulturelle Unterschiede, die sehr interessant sind. In Irland ist Empathie sogar ein Unterrichtsfach. Damit kann man gar nicht früh genug beginnen. Das zahlt sich auch später in der Wirtschaft aus.

Du schreibst von „netter“ und auch von „nicht wirklich netter“, sogar von „grausamer“ Kindness. Welche Art von Kindness ist dir die liebste – und warum? 

Eigentlich sind alle Arten von Kindness wichtig. Wobei man aufpassen muss. Manchmal kommen Unternehmen – so wie Menschen – „kind“ daher, aber es geht ihnen doch nur um sich selbst. Nicht um die Gesellschaft und eine Transformation in Richtung Kindness. Darin sehe ich die Gefahr. Das ist dann wie ein „Kindness Washing“ – so wie Greenwashing. Das heißt, wir sind ein bisschen nett zu unseren Mitarbeitern, aber wenn man genau hinsieht, merkt man, dass diese Art der Kindness gar nicht echt ist.

Ist es der Fachkräftemangel, der zu einem Anstieg von Kindness in der Geschäftswelt beigetragen hat? 

Es hängt mit zwei Faktoren zusammen: Zum einen liegt es daran, dass heute mehr Frauen in der Wirtschaft angekommen sind. Ich möchte nicht sagen, dass Frauen freundlicher sind, aber Frauen haben andere Bedürfnisse in die Wirtschaft hineingetragen, beispielsweise das Bedürfnis nach mehr Flexibilität, vielleicht nach einer Vier-Tage-Woche. Stichwort: Work-Life-Blending. Sie müssen ein Unternehmen finden, das sie unterstützt. 

Zum anderen sehe ich die fortschreitende Digitalisierung als Faktor. Digitalisierung gilt als etwas Kaltes, und wo ein Trend ist, gibt es auch immer einen Gegentrend. Wir leben in einer Welt, in der uns die Erfahrungen der analogen Welt fehlen: Das Haptische, das Authentische, der Austausch mit Menschen. Wir sehen es am Beispiel Twitter – oder wie sich die App nun nennt „X“. Diese App ist das Gegenteil von Kindness. Es ist kein Zufall, dass Mark Zuckerberg versucht, mit seinen Konkurrenzmodell „Threads“ eine Version zu schaffen, die freundlich und konstruktiv ist. Er will anscheinend dem Ärger und dem Hass auf X, ehemals Twitter, etwas entgegensetzen.

Auch LinkedIn ist eine professionelle Austauschplattform, auf der es ganz selten Probleme gibt. Denn das könnte gleich unangenehme Konsequenzen haben, wenn Kollegen oder sogar Chefs sehen, wenn jemand einen Shitstorm lostritt. Daher traut sich niemand, etwas Negatives zu schreiben.

Kindness ist also in der Wirtschaft und auch für Konsument:innen wichtig. Warum kommt diese Erkenntnis so spät? 

Wir haben uns in den letzten Jahren sehr viel um ökologische Nachhaltigkeit gekümmert. Dabei haben wir die Menschen vernachlässigt. Ich denke, dass das eine das andere bedingt. Wenn wir uns mehr um die Menschen kümmern, wird das auch positive Auswirkungen auf die Umwelt haben. Schaut man sich die Arbeitswelt an – Quiet Quitting und The Great Resignation sind die Schlagwörter – bemerken wir eine große Unzufriedenheit bei der jungen Generation. Die Jungen, die auf die Straße gehen und sich für Fridays for Future einsetzen, kommen in die Arbeitswelt und fragen: „Was sind eigentlich die Werte dieses Unternehmens? Ihr setzt Priorität auf die Umwelt – das ist schön –, aber was ist mit den Menschen?“ Das hat dazu geführt, dass ein Umdenken begonnen hat. 

Oona ist Trendforscherin, Beraterin, Rednerin und Autorin. In ihren Büchern setzt sie sich mit der Geschichte der Futurologie und der Architektur der Zukunft auseinander. Auch arbeitete sie an zahlreichen Studien des Frankfurter Zukunftsinstitut Horx mit. Als Trend-Consultant hat sie internationale Unternehmen wie Unilever, Beiersdorf und die Deutsche Bank beraten. Ursprünglich kommt Oona aus Irland, aufgewachsen ist sie in London. 

Inwiefern unterscheidet sich Kindness von traditionellen Geschäftspraktiken und -ethik? 

Viele traditionelle Unternehmen jagen einfach nur dem Profit hinterher. Wenige kommen auf die Idee, zu sagen: Zuerst kommen für uns die People, dann der Planet und erst dann denken wir auch noch an den Profit. Das ist der Grundunterschied – und das ist das, was die Kindness Economy ausmacht. Ich denke, dass der aktuelle Fachkräftemangel vielen Firmen Angst macht. Sie merken, dass das eine Ressource ist, die nicht endlos nachwächst. So, wie sie es in der Vergangenheit gewöhnt waren. Unternehmen können nicht mehr aus dem Vollen schöpfen. 

Nun denken wir: Wer verdienen will, muss freundlich sein. Trotzdem tappen wir als Konsument:innen immer noch oft in Situationen, in denen wir uns schlecht behandelt fühlen. Betrifft das nur bestimmte Branchen, die besonders unter Druck stehen – und werden auch die sich noch ändern müssen? 

Es trifft jede Branche. Wir werden in Zukunft alle freundlich sein müssen. Nicht nur alle Unternehmen, alle Länder, alle Städte. Für bestimmte Unternehmen wird Kindness zum Wettbewerbsvorteil werden. Wenn ich die Wahl zwischen Ryan Air und einer freundlichen Fluggesellschaft habe, weiß ich, wen ich nehmen würde. Leider habe ich nicht immer die Wahl, weil ich schauen muss, wer wo hinfliegt. Aber wir müssen auch sehen, dass die vermeintlich preiswerten Billigflieger gar nicht mehr so billig sind. 

Gibt es Branchen, die besonders gut darin sind, eine Unternehmenskultur der Kindness zu pflegen? Hast du Beispiele?  

Ich habe ganz viele Beispiele in meinem Buch – große und kleine Unternehmen, die Kindness pflegen. Ein Beispiel für eine große Firma ist das US-Bekleidungsunternehmen Patagonia, die propagieren: Solange unsere Mitarbeiter ihre Arbeit machen, können sie durchaus mal während der Arbeitszeit surfen oder in den Wald gehen. Gerade beim Surfen sind die Wellen manchmal gut und manchmal nicht so gut. Das heißt, Surfer müssen flexibel sein. Der Unternehmensgründer Yvon Chouinard war selbst auch Surfer. Gleichzeitig hat er eine riesige Firma aufgebaut. Am Ende seines Arbeitslebens hat er gesagt: Der einzige Stakeholder ist die Erde! Dann hat er seine Anteile an Patagonia an Stiftungen verschenkt, die sich für den Klimaschutz einsetzen. 

Auch schon vorher – vor etwa zwanzig Jahren – hat er eine lustige Werbekampagne gemacht und die Leute aufgefordert: „Don’t buy this jacket“ – Kaufe nicht diese Jacke. Nach dem Motto: Benutze lieber das, was du bereits hast, denn für die Umwelt ist es nicht so gut, wenn du immer neue Jacken kaufst. Der Effekt war natürlich genau umgekehrt: Die Leute sind gerannt und haben diese Jacken gekauft. Das war so eine paradoxe Intervention.

Nachhaltigkeit ist auch für dich ein wichtiges Thema. Glaubst du, dass Kindness eine vorübergehende Modeerscheinung ist – oder ob es sich um einen nachhaltigen Trend handelt?  

Wir kümmern uns viel um die ökologische Nachhaltigkeit, aber auch die soziale Nachhaltigkeit wird ein großes Zukunftsthema sein. Denn wir werden in Zukunft mehr ältere Menschen haben. Das ist demographisch bedingt. Einsamkeit ist jetzt bereits ein großes Thema in der Gesellschaft. Es ist eine Belastung für die Krankenkassen – nicht nur die körperliche, sondern auch die seelische Gesundheit der Bevölkerung zu erhalten. Viele Prominente haben begonnen, ihre Depressionen in Büchern zu verarbeiten. Unsereins denkt sich dann: „Mmh, die haben doch alles!“ Aber das ist wohl auch Teil des Problems. Die Menschen sind am Ziel ihrer Träume und wissen nicht, was sie nun noch machen sollen. Das ist kein Tabuthema mehr. Durch die Corona-Pandemie haben wir mehr Transparenz gewonnen – und können heute offener über Depression und Einsamkeit reden. 

Vielen Dank für das Gespräch, Oona.  

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