Zukunft geschieht nicht einfach – wir entscheiden darüber

Für manche mag es eine ganz neue Einsicht sein: Zukunft geschieht nicht einfach so. Sie ist planbar – und wir müssen sie heute in die richtigen Bahnen lenken. Sicherlich gibt es unbekannte Variablen, aber grundsätzlich haben Entscheidungen, die wir jetzt treffen, Einfluss auf das Morgen. Dazu müssen wir uns den richtigen Fragen stellen, und vermeiden, auf kurzfristige Trends aufzuspringen. Dabei hilft Stephan Grabmeier, Experte für Design Futuring. Er arbeitet mit bedeutenden Think Tanks für Trend- und Zukunftsforschung in Europa zusammen und berät namhafte Unternehmen.

Stephan Grabmeier

Design Futuring

Stephan, was versteht man unter dem Begriff „Design Futuring“ und warum ist das eine Fähigkeit, die für die Zukunft wichtig sein wird?

Design Futuring ist ein methodisches Vorgehen, das wir nutzen können, um Zukunft für uns als Individuen und für unsere Unternehmen zu gestalten. Es geht darum, wie wir Zukunft denken und wie wir aus diesem Denken Zukunft entwickeln können. Die Art, wie wir Zukunft denken, ist ein enorm wichtiges Thema, denn Zukunft ist etwas, das nicht auf uns zukommt, sondern etwas, das wir im Hier und Jetzt entscheiden.

Daher müssen wir wissen, wie wir eigentlich ticken, wer wir sind, wie wir sozialisiert sind, wie wir auf die Welt schauen – und welche Entscheidungen wir treffen, die unsere Zukunft beeinflussen werden.

Wie kann Design Futuring dazu beitragen, Innovationen voranzutreiben?

Viele Menschen versuchen, die Zukunft im Offensichtlichen zu finden. Besser ist es, sich Zeit und Raum zu geben, ausreichend Erkenntnisse zu sammeln und dann nach Antworten zu suchen, statt auf “laute” Themen wie ChatGPT, Blockchain und Metaverse aufzuspringen. Viele fühlen sich wie Lemminge angezogen. Die Wenigsten stellen sich jedoch kontextrelevante Fragen. Eine gute Frage ist aber besser als tausend billige Antworten, und je besser der Erkenntnisraum ist, desto besser sind unsere Entscheidungen für die Zukunft.

Dabei ist die Vorstellungskraft wichtig. Was wir uns vorstellen können, können wir auch entwickeln und gestalten. Zu oft wird Kreativität in Unternehmen ökonomisiert und Ideen in starre Strukturen der Unternehmen hineingepresst. Aber Zukunft ist eine Möglichkeit, der ich Raum geben muss. Wenn ich meinen Geist öffne und ein Zukunftsbild habe, begebe ich mich in einen Modus, in dem ich überlegen kann, was meine Zukunftsbilder mit Innovation, neuen Services, Produkten und Märkten zu tun haben könnten.

Stephan Grabmeier ist Future Designer und Nachhaltigkeitsexperte. Er verwandelt Trends in Strategien und begleitet die „enkelfähige Transformation von Unternehmen“ zu einer regenerativen Wirtschaft. Als Business Angel unterstützt Stephan Impact Start Ups und ist Teil der Social Business Aktivitäten des Friedensnobelpreisträgers Prof. Muhammad Yunus. Mit Lehraufträgen zu Innopreneurship und Nachhaltigkeit an der Universität Duisburg-Essen und der Enkelfähig-Akademie der Haniel Stiftung bildet er junge Menschen in Future Skills aus. Darüber hinaus ist er Autor und Co-Autor zahlreicher Bücher sowie Kolumnist für enkelfähiges Wirtschaften in Wirtschaftsmagazinen.

Wir holen eine mögliche Zukunft aus unserem Unterbewusstsein hervor?

Wenn wir über Zukunftsvisionen sprechen, sind das in erster Linie Emotionen, und nichts Faktisches. Ich nutze eine Methodik, die aus der Emotionsforschung kommt. Was macht uns Hoffnung? Was macht uns Angst? Was bereitet uns Freude? Worauf sind wir stolz? Wofür schämen wir uns?

Das sind alles Elemente, die ganz tief in uns stecken. Zukunft hat viel damit zu tun, wie wir ticken, welche Bias wir haben, woran wir glauben. Diese Dinge hängen mit uns als Individuum zusammen und beeinflussen unsere Zukunftsentscheidungen. Der emotionale Anker ist viel wichtiger als die Themen, die vom Verstand herrühren.

Wie sieht diese Situation genau aus, wenn du mit deinen Klienten arbeitest?

Konkret ist es ein dialogisches Format, wenn wir in einen Visionsraum einsteigen. Das kann digital sein, aber auch als Workshop-Format in Präsenz. Wir gehen gemeinsam und durch Fragen gesteuert durch bestimmte Emotionen. Das kann im Eins-zu-Eins-Interview stattfinden, aber meist arbeite ich mit Gruppen, teilweise mit hunderten von Leuten.

Wir legen die unterschiedlichen Aussagen zusammen und erkennen Muster der Organisation. Wo gehen wir in eine progressive Richtung? Wo findet Zukunftsgestaltung statt – oder wo gehen wir eher in eine regressive Richtung und neigen dazu, am Alten festzuhalten? Wo entstehen Spannungen? Wer das erstmals für sich versteht, tut sich viel leichter damit, aufbauend auf Emotionen und Mustern, die in einer Organisation liegen, Maßnahmen für Zukunftsentscheidungen zu finden.

Wie reagieren denn introvertierte Menschen auf eine solche Selbstbefragung. Manche funktionieren nicht gut bei einem Brainstorming, reden nicht gern ungeordnet ins Blaue. Wie hilfst du denen, an ihr Ziel zu kommen?

Wir brauchen immer verschiedenste Blickwinkel. Nicht jeder will sich einbringen. Sicherlich kommt es auch auf das Projekt und die Teamkonstellation an. Wenn sich Menschen in einer Gruppe nicht so wohl fühlen, führen wir auch Einzelinterviews. Das finden wir im Vorfeld heraus.

Hast du Unterschiede oder Muster bei den einzelnen Generationen feststellen können? Die einen sind digital aufgewachsen, die anderen nicht. Macht sich das bemerkbar?

Es geht weniger um Alterskohorten und die Vereinfachung der Segmentierung der Generationen, sondern vielmehr um die Sozialisierung. Zumindest wenn wir einen wissenschaftlichen Blick auf diese Themen werfen wollen. Diese Sozialisierungsmuster sind altersunabhängig.

Dennoch gibt es bestimmte Erfahrungsmuster. Ein erfahrener Mensch, egal welcher Generation, kann auf andere Erfahrungen zurückgreifen, an denen er oder sie festhalten möchte. Ein junger Mensch? Woran will er festhalten? Ich merke natürlich, wenn ein bestimmtes Erfahrungswissen im Raum ist. Je länger ich an einem Thema, an einen Ort und mit einem Produkt oder Service verbunden bin, damit gute Erfahrungen gemacht habe und Erfolge verbuchen konnte, ist es viel schwieriger, davon loszulassen.

Wie kann Design Futuring dazu beitragen, die Auswirkungen von Technologie auf die Gesellschaft in die richtigen Bahnen zu lenken?

Auch das hängt mit unseren Denkmustern zusammen. Die Megatrend-Forschung beschäftigt sich mit der Welt der Bewegung, der Veränderung, der Dynamik, die wir in Wirtschaft und Gesellschaft haben. Megatrends bewegen sich im Zeitraum zwischen 30 und 50 Jahren. Das sind Lawinen in Zeitlupe. Der Megatrend, der über der Technologisierung liegt, ist die Konnektivität – das menschliche Bedürfnis, Verbindungen zu anderen Menschen einzugehen. Es gibt Mensch–Mensch-Beziehungen, es gibt Mensch-Maschine-Beziehungen und Maschine-Maschine-Beziehungen. Letztendlich geht es aber immer um Konnektivität.

Die Technologie ist immer nur ein Ermöglicher. Und nun sind wir wieder bei dem Eingangsthema: Viele versuchen, im Offensichtlichen die Antworten zu finden. Man beschäftigt sich zu wenig damit, was liegt denn darüber oder darunter? Wie hängt das menschliche Bedürfnis damit zusammen? Wenn ich menschliche Bedürfnisse, gesellschaftliche Veränderungen und Technologien zusammenbringe, kann ich ein ganz anderes Bild entwickeln, als wenn ich mich auf das Offensichtliche beschränke. Das Interessantere ist das, was ich nicht auf Anhieb erkennen kann – die sogenannten Blind Spots. Deswegen ist es wichtig, dort einzutauchen und ein Verständnis zu finden, was ich alles nicht weiß und welche Fragen ich mir stellen muss.

Lass uns doch einmal konkret werden: Wie können Unternehmen Design Futuring nutzen, um neue Geschäftsmodelle zu schaffen?

Das methodische Vorgehen wäre so: Das Unternehmen hat eine Zukunftsfrage, die es beschäftigt, ein Problem, das es lösen will, eine Herausforderung. Mit dieser Zukunftsfrage starten wir in einen Prozess. Zuerst müssen wir verstehen, was passiert eigentlich im Außen, in der Welt – welche Dynamiken und Trends umgeben uns. Vieles davon ist für die bestimmte Fragestellung nicht interessant. Daher fangen wir an, zu priorisieren. Das ist die erste Phase. So bekommen wir eine Sammlung, aus der heraus wir mögliche Zukunft-Szenarien entwickeln. Die schauen wir uns an und überlegen, welche dieser Szenarien wir priorisieren.

Von der Priorisierung ausgehend fangen wir an, Strategien zu entwickeln, möglicherweise zeichnet sich ein bestimmtes Produkt oder ein bestimmter Service ab. Dann gehen wir in die Konkretisierung. So kommst du vom ganz Großen, diesem Was-passiert-eigentlich-in-der-Welt, und endest mit deinem neuen Geschäftsmodell, deiner Innovation, einem ganz neuen Service oder Produkt. Du merkst, es ist ein Schritt-für-Schritt-Vorgehen und nimmt ein Unternehmen mit auf die Reise des Future Designs.

Vielleicht geht das noch etwas griffiger. Gibt es ein Beispiel aus der Praxis, das du erzählen darfst?

Die Fragestellungen sind sehr unterschiedlich. Wir haben für eine große Tourismusregion ein Zukunftsbild 2030 entwickelt. Wie wollen wir Tourismus für eine Region in der Zukunft gestalten – für hunderte von Hoteliers und Wirtschaftstreibende. Wir haben aber auch mit Mittelständlern, die kurz vor dem Generationswechsel stehen, daran gearbeitet, wie die Kultur der Hebel für die Strategie der neuen Generation werden kann.

Ich bin sehr viel in der Nachhaltigkeit aktiv. 80 bis 90 Prozent meiner Projekte drehen sich um Nachhaltigkeit, darum Unternehmen, Städte oder Verbände ins enkelfähige Wirtschaften zu begleiten. Wir setzen Projekte um für Unternehmen die Sustainable Leadership etablieren wollen, um ihre Nachhaltigkeitsstrategie wirkungsvoll umzusetzen. Daher habe ich viel mit sehr fortschrittlichen Unternehmen zu tun, die sich fragen, was könnte der nächste Schritt sein – über den Reifegrad hinaus, den wir jetzt bereits haben.

Was können wir tun, das nicht nur dem Unternehmen, aber auch der Gesellschaft nutzt? Oft sind das echte Purpose Unternehmen – Leader einer neuen Generation, der Impact Economy.

Stephan, vielen Dank für das Gespräch!

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