Zukunft der Arbeit: Zwischen Alt und Neu liegt Gut

Gelingt es Start-ups in westlichen Ländern, Investorengelder einzusammeln, gilt das als Ritterschlag. Statistiken zeigen allerdings: US-Start-ups verfügen zwar über das meiste Venture Capital, haben aber die kürzeste Lebensdauer. 65 Prozent der US-Start-ups scheitern in ihren ersten zehn Jahren. In Afrika ist das Verhältnis genau umgekehrt: Afrikanische Start-ups haben die geringsten Investorengelder, aber weltweit die längste Lebensdauer. Warum ist das so?

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Wie bist du auf deine 5 GOOD WORK Prinzipien gekommen?

Diese Prinzipien gehen auf meine Feldforschung zurück, die ich im März 2020 gestartet habe. Damals war für mich die Schulschließung der Dreh- und Angelpunkt. Alle, die zuvor fünf Tage im Büro saßen, waren nun plötzlich zuhause. Das war eine radikale Veränderung. Vorher war Homeoffice in vielen Kontexten eine echte Ausnahme und vermeintlich mit einem Riesenproblem versehen. Ich wollte festhalten, was da gerade passiert, und auch, was wir aus der neuen Situation lernen können. Daher habe ich angefangen, Interviews zu führen und diese als Podcast zu veröffentlichen.

Was verstehst du unter diesen 5 GOOD WORK Prinzipien genau?

Das sind die fünf Prinzipien für eine gute Zusammenarbeit. Diese fünf Themen sind in meinen Interviews immer wieder aufgetaucht. Prinzip 1: Gelungene Beziehungsgestaltung Wie können wir gelungene Beziehungen aufbauen und vertiefen – unabhängig davon, ob die sie analog oder digital stattfinden? Prinzip 2: Flexible Strukturen. Wieviel Strukturen und Rahmenbedingungen brauchen wir? Wieviel feste und verbindliche Verabredungen sind notwendig – und wieviel Flexibilität in Hinblick auf Zeit und Ort? Prinzip 3: Digitale Balance – verschwinden die Welten von analog und digital? Oder arbeiten wir auch langfristig in dieser hybriden Weise? Prinzip 4: Gelebte Agilität – Welche Methoden und Vorgehensweisen wählen wir – dabei geht es darum, den Kern von Agilität zu erkennen und nutzbar zu machen, jenseits von Methodenhypes. Prinzip 5: Denken in Möglichkeiten. Für eine gute Zusammenarbeit oder eine gute Arbeitskultur muss ich Möglichkeiten erkennen, die vermeintlich nicht da sind. Wie schaffe ich die Umkehr von zuvor konsumierenden Mitarbeitenden zu Gestaltern? Strategisch denken und Visionen entwickeln sind dabei wichtige Fertigkeiten.

Jule Jankowski ist Keynote-Speakerin, Podcasterin, Buchautorin und Organisationsberaterin. Sie berät, publiziert und forscht rund um das Thema zukunftsfähige Arbeitskultur. In ihrem Audiosalon, dem Podcast GOOD WORK, kommen Menschen aus der Mitte der Arbeitswelt ebenso wie renommierte Experten und Vordenker zu Wort. In ihrem neuen Sachbuch „Zwischen Alt und Neu liegt Gut“ (Vahlen Verlag) hat Jule ihre 5 GOOD WORK Prinzipien erläutert. Als Geschäftsführerin der Beratungsgesellschaft Humiq GmbH begleitet sie – gemeinsam mit ihrem Netzwerk – Teams und Führungsmannschaften in strategischen und organisatorischen Veränderungsprozessen. Die 55-Jährige lebt in Wiesbaden, ist verheiratet, hat zwei Kinder und einen Hund. Zu ihren Hobbys gehört Handlettering, das kunstvolle Schreiben mit der Hand.

Du hast es bereits anklingen lassen: Remote ist auf dem Vormarsch – für alle?

Gab es vor der Pandemie einen Teil der Arbeitswelt, der remote gearbeitet hat? Ja, ich denke da unter anderem an Freelancer im IT- oder im kreativen Umfeld. Die arbeiten zum großen Teil seit Jahren remote. Jetzt sind sie raus aus ihrem Exoten-Nischen-Status und Remote-Arbeit ist im Mainstream angekommen. Allerdings müssen wir sehen, dass es viele Berufe gibt, die können wir nicht remote ausüben. Haare schneiden, Brötchen backen, Bus fahren. Für diese Menschen hat sich natürlich auch etwas verändert, aber nicht so augenfällig. Vor der Pandemie haben viele ausschließlich in Präsenz gearbeitet, obwohl es für sie nicht optionslos war. Sie machen gerade die Erfahrung: Es geht sehr wohl remote. Trotzdem finde ich, dass wir das Thema Remote-Arbeit differenziert betrachten müssen. Es ist nicht der heilige Gral für alle Arbeitskontexte.

Wir müssen uns Gedanken machen, welche Themen wir in Gemeinschaft im Büro besprechen und bespielen wollen – und wofür wir eine ruhige Arbeitsumgebung brauchen. Sofern ich diese bei mir zuhause überhaupt vorfinde. Nicht jeder hat ein tolles Arbeitszimmer, wo er oder sie ungestört arbeiten kann. Für viele ist das schließlich auch ein unerreichbarer Luxus. Moderne Arbeitsmodelle sind kontext- und bedürfnisgerecht.

Was bedeutet es, wenn wir uns gar nicht mehr sehen würden?

Es gibt einiges, das nicht unbedingt positiv wäre. Die Verbundenheit zum Unternehmen und zu den Kolleg:innen droht zu erodieren, wenn wir uns nur im digitalen Raum begegnen. Es ist einfach nicht das gleiche wie ein Austausch von Angesicht zu Angesicht. Das gilt nicht nur für diejenigen, die neu im Unternehmen einsteigen, sondern auch für jene, die schon länger dabei sind. Ein Riesenthema, auf das wir noch keine schlauen Antworten haben. Es wird zunehmend beliebig, für wen ich arbeite, wenn ich immer in der Küche sitze, mit dem Laptop aufgeklappt. Ob nun das Intranet blau, grün oder rot gefärbt ist, ist letztlich egal. Daher die Frage: Wie schaffen wir es, über den rein fachlichen Austausch hinaus informelle Strukturen zu schaffen, die uns einen? Wie schaffe ich es, Dinge zu schützen, die schützenswert sind – wie beispielsweise meine Freizeit. Remote-Arbeit gestaltet die Trennung zwischen Arbeit und allem anderen anspruchsvoller. Der Job ist ja quasi nur ein Mausklick, ein Handyblick entfernt. Das sind Versuchungen, die zur Entgrenzung der Arbeitssphäre führen können. Es erfordert Disziplin und gute Strukturen, diesen Tendenzen entgegenzuwirken.

Du glaubst also auch, dass remote Arbeitende eher mehr arbeiten?

Ich möchte das niemandem unterstellen, aber ich sehe die Versuchung. Daher müssen wir Strukturen schaffen, die gewährleisten, dass wir arbeitsfreie Zonen haben. Das ist kein trivialer Job, denn wenn mich eine WhatsApp-Nachricht mit einer Frage erreicht, bin ich manchmal nicht weit davon entfernt, meinen Laptop aufzuklappen und noch schnell etwas zu arbeiten. Dann bin ich nicht nur mental, sondern auch physisch schon wieder im Arbeitskontext drin. Das sind die Downsides der Flexibilität. Das ist das, was uns unbewusst unter Druck setzt. Wir sehen nicht unsere Kolleg:innen beim Kaffeetrinken und wie sie sich eine Auszeit nehmen, was uns entlasten könnte. Kein Mensch kann acht Stunden am Stück produktiv und effizient arbeiten. Ein spannendes Phänomen ist auch das Thema „Proximity Bias“. Man hält die Menschen für produktiver, die beim Arbeiten sehen können – auch wenn wir gar nicht wissen, was sie gerade auf ihren Bildschirmen treiben. Das führt zu einer Wahrnehmungsverzerrung, der wir uns insbesondere im Kontext von Leadership bewusst sein sollten. Führungskräfte neigen dazu, jene Mitarbeiter:innen, die sie jeden Tag im Büro sehen, für produktiver zu halten, als die anderen, die ausschließlich remote arbeiten.

Das ist gruselig. Wenn also zwei die gleiche Arbeit machen und sich um eine Gehaltserhöhung bemühen, könnte es sein, dass ich als Führungskraft nur derjenigen mehr Geld gebe, die im Büro arbeitet, weil ich die andere, die remote arbeitet für weniger produktiv halte?

Das ist tatsächlich ein realer Faktor, den wir berücksichtigen müssen. Das muss nicht in jedem Fall so gesehen werden, aber die Gefahr der Proximity Bias besteht. Dem müssen wir bewusst entgegensteuern.

Ein weiterer negativer Aspekt an der Remote-Arbeit, der sich neuerdings herauskristallisiert, ist eine fehlende Entwicklungsmöglichkeit von Mitarbeitenden. Wie können Unternehmen entgegensteuern, damit nicht Einzelne in der Menge untergehen?

Auf diese Frage gibt es keine Antwort, die gleichermaßen auf ein Unternehmen mit fünf wie auf eines mit 130.000 Menschen passt. Es lässt sich – nicht zuletzt über Soziale Medien vermittelt – ein Trend beobachten. Größere und auch mittelständische Unternehmen schaffen zunehmend informelle Räume mit inspirierenden Veranstaltungen – in Präsenz, hybrid und digital.

Manche Unternehmen laden sich dafür externe Impulsgebende ein oder wählen Menschen aus ihrem Unternehmen aus, Einblicke in ihre Arbeit zu gewähren, zu denen man sich austauschen kann. Sie schaffen eine Bühne für alle möglichen Aspekte. Das finde ich, sind gute Initiativen. Plötzlich macht es nämlich einen Unterschied, für wen ich arbeite. Ich rate, dabei nicht an der eigenen Unternehmensgrenze Halt zu machen, sondern Menschen von außerhalb miteinzubeziehen.

Ist das auch eine gute Gelegenheit, um über Unternehmenswerte nachzudenken?

Mhm, ganz ehrlich, ich bin überhaupt keine Freundin davon, Unternehmenswerte einfach so zu „bequatschen“: „Wir machen einen Workshop und definieren unsere Unternehmenswerte, die wir dann kaskadierend kommunizieren und auch noch auf unsere Kaffeetassen drucken.“ – Das können wir uns schenken. Das Wertethema halte ich für sehr anspruchsvoll und nicht geeignet für eine einfache Antwort.

Ich habe vor der Pandemie immer gesagt, wenn du einen ersten Eindruck von der Kultur eines Unternehmens bekommen willst, schau dir drei Sachen an: die Empfangshalle, ein Meeting und die Kantine. In der Empfangshalle siehst du, wie mit Menschen außerhalb des Systems umgegangen wird, mit welcher Wertschätzung, Offenheit und Gastfreundschaft.

Im Meeting lernst du, wie Leute miteinander kommunizieren und interagieren, welche Spielregeln herrschen. Was darf gesagt werden und vor allem: Was darf nicht gesagt werden? In der Kantine siehst du, was ist eigentlich der sozialen Kleber, der die Menschen zusammenhält? Was sind die informellen Themen? Was wird beim Essen besprochen? In Zeiten von Remote- und Hybrid-Arbeit fällt dieser Teil natürlich weg.

Unternehmenswerte sind das eine. Das andere sind die von dir anfangs angesprochenen Visionen. Wie kann ein Unternehmen im Zeitalter der Remote-Arbeit mit den Mitarbeitenden eine gemeinsame Vision entwickeln?

Das Thema Vision finde ich hervorragend, wenn es alle Menschen im Unternehmen verstehen und auch leben. Wenn es vor allem eine handlungsweisende Qualität in das tägliche Tun bringt. Aber bitte keine Vision, die niemand versteht oder – noch schlimmer – jeder anders interpretiert.

Eine prägnante Vision ist dann hilfreich, wenn sie eindeutig und emotional formuliert ist. Ich halte auch nichts davon, wenn ein exklusiver Zirkel diese Vision erarbeitet, und hochglanzpoliert beschrieben an die Mitarbeitenden herausgibt. Die nehmen das dann lediglich zur Kenntnis und legen es zu den Akten. Aber wenn ich die Menschen einbeziehe, sie an einer Vision mitarbeiten lasse und wenn dann ein Fitzelchen, ein kleiner Gedanke Einzelner in die Botschaft einfließt, dann hat diese Vision eine echte Chance, wirklich gelebt zu werden.

Jule, vielen Dank für das Gespräch!

COCON24

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