Jana Hoffmann: Transformation im Museum
Jana, was waren denn die Hauptgründe für die Entscheidung des Museums für Naturkunde, die Transformation in eine offene Wissensinfrastruktur für Natur anzugehen?
Das Museum für Naturkunde ist ein Forschungsmuseum und damit eine Forschungseinrichtung, die den öffentlichen Auftrag sehr stark lebt. Wir haben vor einigen Jahren bei uns im Haus einen Branding-Prozess gemacht und uns zum Ziel gesetzt, uns als institutionelle Botschafterin für Natur, die ja keine eigene Stimme hat, einzusetzen. Mit unserer großen wissenschaftlichen Sammlung von über 30 Millionen Objekten – bestehend beispielsweise aus Mineralien, zoologischen Präparaten, Bibliothek und Archiv – haben wir einen fantastischen Wissensspeicher. Den möchten wir offener zugänglich machen. Wir sind starke Verfechter der Open-Science-Bewegung und wollen mehr Nähe von Wissenschaft zur Gesellschaft herstellen, die Wissenschaftsmüdigkeit in der Gesellschaft adressieren, uns als Infrastruktur und Ausstellungsbetrieb öffnen. Unsere Infrastruktur soll für alle nutzbar sein.
Welche konkreten Veränderungen und Maßnahmen habt ihr ergriffen, um die Transformation des Museums umzusetzen?
Das Museum für Naturkunde Berlin ist von seiner Gründungsgeschichte her, also einer über 200-jährigen Geschichte, ein Traditionsunternehmen in verschiedenen Ausprägungen. Insbesondere die Arbeit an den wissenschaftlichen Sammlungen, die die Basis unserer Infrastruktur bilden, ist immer sehr viel analog gewesen. Wir haben direkt an den Objekten gearbeitet – und die Menschen kamen zu uns, um sich die Sammlungsobjekte anzusehen. Durch die digitale Transformation hat sich die Gesellschaft verändert und wir haben gemerkt, dass wir in der Form, in der wir gearbeitet haben – vor Ort mit den wissenschaftlichen Objekten – unsere Grenzen erreicht haben. Wir müssen anders auf dieses Wissen zuzugreifen können, einen fairen Zugang für alle gewährleisten. Daher wollen auch wir uns dieser digitalen Transformation stellen und haben uns gefragt: Wie können wir unsere riesige Sammlung zeitgemäß aufstellen, so dass sie den Anforderungen unserer Gesellschaft genügt? Auch die Forschung hat sich unter anderem durch die Pandemie massiv verändert. Vieles ist digitaler und mit dieser Digitalität kommt auch ein anderes Skillset. Die Menschen, die wir brauchen, verändern sich auch. Wir brauchen einfach beides – das Analoge und das Digitale. Für uns ist die Digitalisierung eine Erweiterung und kein Ersatz für etwas, das vorher analog funktioniert hat.
Wie habt ihr eure Mitarbeitenden in diesen Veränderungsprozess eingebunden und motiviert?
Wir sind sehr stark dem Potenzialentwicklungsansatz gefolgt und haben uns Hilfe von außen geholt. Wir sind einer von drei Forschungsbereichen am Museum, der sehr stark wächst, und haben gemerkt, dass wir nicht mehr in der ursprünglich sehr hierarchisch angelegten Struktur weitermachen können. Daher haben wir vor zwei Jahren den Prozess begonnen, unseren Forschungsbereich neu aufzustellen, und Kolleg:innen eingeladen, gemeinsam mit uns digital unsere Inhalte zu entwickeln. Wir haben versucht, 130 Leute in diesem Prozess mitzunehmen und immer wieder auch zu stimulieren. Dabei haben wir viele Begegnungsformate geschaffen, in denen wir Menschen zusammengebracht haben, die sich gar nicht so gut kannten. Durch Corona hatten wir zeitweise das Problem, dass wir uns nicht persönlich sehen konnten. Mir fiel auf, wie engagiert und motiviert unsere Kolleg:innen mitgemacht haben. Dieses Mitgestaltenkönnen, dieses „meine Stimme wird gehört und ich bin immer über die verschiedenen Schritte der Entwicklung informiert“ – das hat schon bei vielen ausgereicht und auch Räume geschaffen, sich selbst weiterzuentwickeln. Raus aus der starren Struktur des öffentlichen Dienstes ist ja nicht immer so einfach.
Welche Auswirkungen hatte die Transformation auf die Beziehung des Museums zur Öffentlichkeit und zu anderen Forschungsinstitutionen?
Wir hatten schon vor der Pandemie viele digitale Formate entwickelt, die wir in der Pipeline hatten. Dann mussten die Museen durch Corona schließen, die Besucher blieben aus. Daher haben wir unsere digitale Formate angeboten, was sehr gut angekommen ist. Ein Beispiel ist unser Datenportal, das an die Öffentlichkeit gerichtet ist: Beispielsweise tolle 3D-Scans und -Bilder oder Tierstimmen. Im Vergleich mit anderen Institutionen waren wir schon besser aufgestellt. Daher konnten wir in Hinblick auf die Öffentlichkeit und Wissenschaftskollegen anders agieren. Im Homeoffice arbeiten zu können, war auch nicht in allen Instituten möglich. Ich muss dazu sagen, dass das Museum für Naturkunde ein international agierendes Forschungsmuseum ist. Wir bewegen uns ohnehin im internationalen Kontext und gar nicht nur im deutschen Wettbewerbsraum. Daher sind wir schon viel mehr für kollaboratives Zusammenarbeiten über nationale Grenzen hinweg aufgestellt.
Du hast es bereits anklingen lassen, aber wie hat sich die Art, wie das Museum seine Sammlungen, Daten und Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich macht, genau geändert?
In der ganzen Welt gibt es diesen Auftrag, Forschung zu fördern. Daher gab es schon immer einen riesigen, internationalen, logistischen Leihverkehr. Wir haben Sammlungsobjekte in der ganzen Welt hin- und hergeschickt. Gäste sind zu uns gekommen und haben sich die Sachen angeschaut. Durch die digitale Transformation unserer wissenschaftlichen Sammlungen schaffen wir noch ganz andere Zugangsformen. Für alle Forschenden, aber auch für die Öffentlichkeit weltweit. Das war vorher in der Masse und in der Größe so nicht möglich, dass Menschen über unsere Sammlung forschen konnten, überhaupt davon wissen oder den Zugang hatten – ich denke dabei insbesondere an den globalen Süden, der eher keinen Zugang hatte. Dass nun alle auf diesen Wissensschatz, diesen Wissensspeicher von über 200 Jahren Geschichte, zugreifen können – unabhängig davon, ob sie Wissenschaftler:innen oder Menschen sind, die an unserem Haus vorbei laufen. Es ist Wahnsinn, was sich alles verändert hat, seit wir studiert haben.
Dr. Jana Hoffmann ist Biologin und seit 2020 Co-Leiterin des Forschungsbereichs „Zukunft der Sammlung“ am Museum für Naturkunde Berlin. Dieser Bereich entwickelt die Sammlung des Museums als offene Wissensinfrastruktur. Diese soll die Grundlage für neue, multiperspektivische Forschungen und Wissensvermittlung in einem offenen Museum bilden. Dabei geht es Jana um die Frage, wie Forschungsmuseen den Zugang und die Nutzung von Sammlungen innovativ gestalten können, um gleichzeitig eine aktive Beteiligung von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zu ermöglichen und Innovationen zu fördern. Die Sammlungen sollen nicht nur der Forschung dienen, sondern auch die Kultur- und Kreativwirtschaft inspirieren.
Gab es Widerstand oder Bedenken gegenüber der Transformation des Museums? Und falls ja, wie seid ihr damit umgegangen?
Die gibt es und es wird sie wohl auch immer geben, weil wir Kolleg:innen selbst auch ein Abbild der Bevölkerung sind mit all ihrer Diversität letztendlich, die wir auch selbst in uns tragen. Allerdings sind wir für mein Verständnis nicht divers genug. Das ist schon ein langjähriger Prozess, diese Öffnung, die wir vorantreiben. Dieses „mein Wissen“, „meine Sammlung“, „meine Babys“ – gerade Forschende identifizieren sich sehr stark mit ihren wissenschaftlichen Sammlungen, weil sie diese oft über viele Jahre betreuen, aufbauen und entwickeln. Das ist ein totales Asset, weil die Leute wahnsinnig motiviert sind, sich für ihre Sammlung einsetzen. Auf der anderen Seite hat das aber auch etwas sehr Exklusives: Etwa nur denen Zugang zu geben, die wir mögen oder von denen wir denken, dass sie verantwortungsvoll damit umgehen – mit all den eigenen Vorurteilen… dagegen kämpfen wir natürlich an. Wir wollen immer wieder im Kollegium sensibilisieren, dass eine Öffnung der Sammlungen unser öffentlicher Auftrag ist und Innovation fördert. Auch Inspiration. Wir haben sehr viele Kooperationen mit der Kultur und Kreativwirtschaft oder mit Künstlerinnen, die eine ganz andere Art haben, auf die Sammlungen zu blicken, nicht mit dem wissenschaftlichen Blick, und die ganz anders damit umgehen. Das führt immer wieder zu Aushandlungsprozessen. Wir versuchen sehr offen damit umzugehen, sehr viel Verständnis zu schaffen und immer wieder auch zu erklären, warum wir das machen und warum Transformation wichtig ist. Wobei die Kolleg:innen, die bei uns arbeiten, alle verstehen, dass wir nur gemeinsam die großen Fragen der Zeit beantworten zu können.
Wie siehst du die Zukunft des Museums für Naturkunde in Bezug auf die Weiterentwicklung in eine offene Wissensinfrastruktur für Natur. Ist jetzt schon alles erreicht?
Das Museum für Naturkunde ist eine sich dynamisch verändernde Institution und wir sind schon einen sehr weiten Weg gegangen. Auch wir werden evaluiert und haben beim letzten Mal das Label von der Leibniz Gemeinschaft bekommen, zu der wir gehören, eines der Role Models für andere Museen und ähnliche Forschungseinrichtungen zu sein. Wir versuchen natürlich, diese Rolle gut zu füllen und verantwortungsvoll damit umzugehen. Unsere Zukunft geht tatsächlich in die Richtung, auch als Institution unternehmerisch tätig zu sein. Auf der einen Seite die Forschung, die extrem wichtig ist, weil wir als Forschungsmuseum dem unterstellt sind, aber wir wollen auch mehr angewandte Forschung machen. Es wird einen zweiten Standort vom Museum für Naturkunde in Berlin geben. Wir erweitern uns räumlich vom Standort Invalidenstraße und ich denke, dort werden wir diese modernen, technologischen, eher unternehmerischen Ziele verwirklichen können.
Jana, vielen Dank für das Gespräch!