SMartDE eg: Soziale Absicherung von Soloselbständigen

Arbeitslosenversicherung, bezahlte Krankentage? Fehlanzeige! Die soziale Absicherung von Solo-Selbständigen in Deutschland ist dramatisch schlecht. Eine ungewöhnliche Lösung haben die Macherinnen von SMart – einer Genossenschaft für Selbständige – entwickelt: Die Mitglieder sind bei der Genossenschaft festangestellt und profitieren somit von der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Ihr Gehalt ergibt sich aus den Aufträgen, die sie über SMart abwickeln. Somit haben sie ein konstantes Einkommen, auch wenn die Auftragslage das vorübergehend nicht hergeben sollte. Die gesamte Bürokratie – von Rechnungsstellung und ggf. Mahnwesen – übernimmt die Genossenschaft. Ansonsten arbeiten die Mitglieder weiterhin flexibel mit ihren Autraggebenden zusammen – wie schon zuvor als Solo-Selbständige. Alicja Möltner und Magdalena Ziomek über das Wie und Warum der Genossenschaft und welche zukünftigen Projekte sie planen.

Alicja und Magda im Interview bei COPETRI

Alicja und Magda, wie seid ihr darauf gekommen, euch mit der sozialen Absicherung von Selbständigen zu beschäftigen und die Genossenschaft SMart zu gründen?

Wir kommen beide ursprünglich aus dem Kulturbereich, wo es viele Soloselbständige gibt. Dort haben wir schnell gemerkt, dass Menschen, die sich in dem Bereich bewegen, mit vielen Problemen kämpfen müssen. Zum Beispiel ist es manchmal schwierig, überhaupt an sein Geld zu kommen, eine gültige Rechnung zu schreiben, die ganze Bürokratie und Absicherung – auch für Tätigkeiten im Ausland. Später ist uns klar geworden, dass das nicht nur den Kulturbereich betrifft, sondern alle Freiberufler. So sind wir darauf gekommen, eine Genossenschaft zu gründen – nach dem Vorbild unserer belgischen Partnerorganisation. SMart gibt es in Belgien seit 25 Jahren. Weitere Partner sitzen in Österreich, Italien, Spanien, Schweden und Frankreich. Wir verfügen also über ein großes, europaweites Netzwerk von 100.000 Mitgliedern. In den sieben Ländern hat SMart im letzten Jahr einen Umsatz von 200 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet.

Was sind die wichtigsten Gründe für Soloselbständige, sich euch anzuschließen?

Das ist sicherlich die unzureichende soziale Absicherung für Selbständige. In Deutschland zahlt etwa die Hälfte nicht in die gesetzliche Rentenversicherung ein. 85 Prozent hat keinen Zugang zur Arbeitslosenversicherung. Im Vergleich zu einer Festanstellung gibt es eine riesige Diskrepanz. Auch fangen wir Phasen auf, in denen die Mitglieder weniger verdienen, weil es ihre vorübergehende Auftragslage nicht hergibt. Wir zahlen ein regelmäßiges, gleichbleibendes Gehalt, angepasst an das durchschnittliche Auftragsvolumen. Das Geld kommt auch, wenn die jeweiligen Kund:innen noch gar nicht gezahlt haben. Über uns sind die Menschen für Tätigkeiten, die sie über die Genossenschaft abwickeln kranken-, renten-, arbeitslosen- und pflegeversichert, und auch berufshaftpflichtversichert. Sie müssen sich nicht um die Rechnungsstellung kümmern – und wir übernehmen auch ggf. das Mahnwesen, wenn Auftraggeber:innen nicht zahlen.

Ist das insbesondere interessant für Menschen, die am Beginn ihrer Freiberuflichkeit stehen und sich noch nicht auskennen, oder auch für erfahrene Selbständige?
SMart ist für alle Phasen der Selbständigkeit geeignet. Eine sehr große Gruppe bilden Zugezogene aus dem Ausland, etwa 57 Prozent unserer Genoss:innen haben einen migrantischen Hintergrund. Wir beraten in der jeweiligen Landessprache, damit sich die Menschen über die deutsche Bürokratie informieren können. Das erleichtert den Start, denn sonst kann es zu bösen Überraschungen kommen. Das deutsche Fiskal- und Sozialabsicherungssystem ist kompliziert. Insbesondere, wenn auch noch Auftraggeber aus dem Ausland hinzukommen. Für uns arbeiten Menschen aus 50 Nationen und 30 verschiedenen Berufen.

Aus welchen Berufen kommen eure Mitglieder?
Sie kommen aus sehr verschiedenen Bereichen – vielfach aus dem Dienstleistungsbereich, das sind Berufe wie Coaches, Berater:innen und Content Manager:innen. Wir haben aber auch Mitglieder aus dem Bildungs- und dem Kulturbereich. Die stärkste Gruppe bildet der Bereich der Unternehmensberatung und IT. Manche sind hauptberuflich bei uns angestellt, andere haben einen Minijob. Es gibt Leute, die innerhalb von SMart als Gruppe zusammenarbeiten und so den Vorteil nutzen, dass sie keine GbR oder GmbH gründen müssen. Unsere Mitarbeitenden haben Zugriff auf eine breite Community, eine starke, diverse Gruppe, mit der sie sich austauschen können.

Das klingt etwas nach Co-Working-Space…
Das ist das Tolle, dass unsere Leute wirklich frei darin sind, wie sie ihre Arbeit gestalten und mit wem sie zusammenarbeiten wollen. Wir bieten unseren Mitgliedern auch Arbeitsplätze bei uns im Büro in Berlin-Kreuzberg an, aber die meisten sind entweder bei den Kund:innen für bestimmte Projekte, im Homeoffice oder in Co-Working-Spaces. Sie sind deutschlandweit ansässig oder auch international unterwegs. Wir haben 900 Mitglieder, die seit 20216 zu uns gekommen sind, und etwa ein Drittel davon ist bei uns fest angestellt.

Wie finanziert ihr dieses „Rundum-Sorglos-Paket“?
Unsere Mitglieder kaufen mindestens einen Genossenschaftsanteil von 50 Euro und von jedem Auftrag, den sie über uns abwickeln, behalten wir neun Prozent des Honorars ein. Damit finanzieren wir die Verwaltungskosten der Genossenschaft, das heißt, wir bieten die Infrastruktur, die Online-Plattform und das Team, das alle Mitglieder betreut. Das Spannende dabei ist, dass unsere Mitglieder für diese neun Prozent, die sie an uns zahlen, oft besser und günstiger versichert sind, als wenn sie als Selbständige die Gesamtkosten für das Sozialversicherungspaket tragen müssten. Und sie verfügen auch noch über eine Arbeitslosenversicherung, die es sonst für die meisten Freien gar nicht gibt.

Das klingt nach einem Angebot, dass eigentlich niemand ausschlagen kann. Musstet ihr eigentlich auch schon mal Interessenten ablehnen?
Wer ganz am Anfang seiner beruflichen Laufbahn steht und noch gar keine Aufträge generiert hat, müssen wir ablehnen. Kund:innen und Aufträge müssen also bereits vorhanden sein. Auch konnten wir bestimmte Berufsgruppen nicht aufnehmen, deren Aufträge lizensiert sind – wie zum Beispiel Architekten. Wichtig ist, dass die Menschen, die zu uns kommen, einen Aufenthaltstitel haben.

Das betrifft dann auch Geflüchtete aus der Ukraine?
Wir arbeiten viel mit ukrainischen Organisationen zusammen. Wir haben ziemlich viele Workshops zum Thema Selbständigkeit oder Alternativen zur Selbständigkeit in Deutschland für Leute aus der Ukraine gemacht, und haben ein ganzes Tanzkollektiv beraten. Zu Kriegsbeginn haben wir unsere Räume als Co-Working-Space für Menschen aus der Ukraine angeboten. Wir sind in dieser Hinsicht sehr aktiv. Das Thema liegt uns sehr am Herzen, denn wir sind Polinnen beziehungsweise haben eine polnische Abstammung.

Alicja Möltner & Magdalena Ziomek

Alicja Möltner und Magdalena Ziomek leiten gemeinsam seit 2016 als Co-CEO und Co-Geschäftsführerinnen das Berliner Büro der SMartDe eG. Magda engagiert sich über ihre Tätigkeit als Co-CEO hinaus für diverse Non-Profit-Organisationen wie der „agitPolska“, einem Verein, der sich um interkulturellen Austausch kümmert. Die gebürtige Polin ist studierte Kunsthistorikerin mit Magister der Uniwersytet im. Adama Mickiewisza in Posen und absolvierte den Masterstudiengang „Museum und Ausstellung“ an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.

Alicja arbeitete für „Touring-Artists“, einem Beratungsangebot für international mobile Künstlerinnen, das die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien fördert. Die 36-Jährige ist studierte Kulturmanagerin mit einem Magister der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Sie hat einen polnischen Migrationshintergrund, ist an der deutsch-französischen Grenze aufgewachsen und hat zwei Kinder.

Wer bei SMart mitmacht, ist nicht nur Teil einer Bewegung, sondern auch weisungsgebunden. Was bedeutet das genau für die Mitglieder, die mit ihrem Freiberufler-Mindset bei euch einsteigen und das vielleicht nicht gewöhnt sind?
Wir als SMart sind der Arbeitgeber. Uns ist es wichtig, dass Aufträge, für die wir die Haftung als Genossenschaft übernehmen, von unseren Mitgliedern auch ordnungsgemäß ausgeführt werden. Was wir nicht machen, ist, unseren Mitgliedern vorzuschreiben, wer ihre Kund:innen sein sollen oder wann und wie sie ihre Aufträge ausführen sollen. Sie sind in ihrer Gestaltung frei. Sicherlich sind sie verpflichtet, im Rahmen ihres Anstellungsvertrags mit uns Aufträge einzuholen. Aber wir sind nicht wie ein Gefängnis. Wer bei uns aussteigen will, der kann das natürlich tun.

Wie wichtig ist für die Mitglieder, dass ihr im Zweifel die Honorare eintreibt, wenn Auftraggeber:innen nicht zahlen?
Die Zahlungsmodalitäten für Selbständige sind manchmal sehr anstrengend. Ich will nicht sagen, dass Deutschland ein Land von nichtzahlenden Kund:innen ist, aber wir sehen, dass es Bereiche gibt, in denen Auftraggebende nicht zuverlässig zahlen. Das betrifft insbesondere den Bereich Sprachen und Übersetzungen. Wir mussten bereits Inkassoverfahren einleiten. Das ist für manche Selbständige zu komplex, kostspielig und dauert auch zu lange. Wir haben als Organisation ein höheres Ansehen als einzelne Selbständige, die immer am Ende der Nahrungskette stehen und als Letzte ihr Geld bekommen. Als Firma mit einem seriösen Auftritt haben wir den Vorteil, dass Kund:innen schneller zahlen. Aus Sicht der Mitglieder ist es egal, wann das geschieht, sie haben ihr festes Einkommen – und merken nicht, wenn das Honorar erst ein halbes Jahr später kommt. Das ist bei größeren Aufträgen oder bei Projekten der Fall, die beispielsweise mit EU-Förderungen verbunden sind. Dabei nehmen die Projektverantwortlichen wenig Rücksicht darauf, dass diejenigen, die die Arbeit geleistet haben, ihre Miete jeden Monat überweisen müssen und auf regelmäßige Zahlungen angewiesen sind. 

Handelt ihr auch bessere Honorare für eure Mitarbeiter:innen aus?
Das ist die Aufgabe unserer Mitglieder, aber wir schulen sie und schauen, dass ihre Honorare nicht zu niedrig sind und wie sie ihre Verhandlungsstrategien verbessern können. Doch mischen wir uns nicht in die Gespräche zwischen Mitgliedern und Auftraggebenden ein. 

Welche innovativen Ideen habt ihr noch, die ihr in Zukunft verwirklichen wollt?
Wir sind immer auf der Suche nach Möglichkeiten und Ideen, wie wir unsere Services verbessern können. Beispielsweise treiben wir die Zusammenarbeit mit Senior:innen voran. Und wir wollen stets neue Berufsgruppen aufnehmen, wie etwa Seniorenassistent:innen. Auch setzen wir uns für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Selbständigen und der Modernisierung des Genossenschaftsrechts ein. Darüber hinaus schauen wir, welche Services wir noch für unsere Mitglieder neu- und weiterentwickeln können. Etwa die Online-Plattform, die eine einfachere Zusammenarbeit mit uns für Kund:innen, aber auch eine bessere Vernetzung der Mitglieder untereinander ermöglicht, so dass sie gemeinsam Projekte realisieren können. 

Vielen Dank für das Gespräch, Alicja und Magda!

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