Im „Tiefen Denken“ sind wir besser als KI – noch!

Wir denken viel darüber nach, inwiefern Künstliche Intelligenz unser Arbeitsleben beeinflussen wird. Welche Arbeit wird sie ersetzen? Wird sie vielleicht sogar mehr Arbeitsplätze schaffen als vernichten? „Rebels at Work“-Gründerin Anja Förster plädiert für das Konzept des „Tiefen Denkens“ – denn das können uns die Bots bisher noch nicht abnehmen. Das sollten wir uns zunutze machen – und uns öfter Zeit nehmen und tief darüber nachdenken, was wirklich wichtig ist – und welche neue Idee wir vorantreiben wollen. Als regelmäßige Selbstfürsorge könnten und sollten wir diese Momente fest in unseren Arbeitsalltag integrieren – so die Bestsellerautorin.

Künstliche Intelligenz im Recruiting

Anja, wie gehst du denn normalerweise mit dem Druck um, Fehler zu vermeiden, und wie beeinflusst dieser Druck dein Denken und Handeln?

Ich finde es wichtig, Klarheit zu schaffen: Was ist überhaupt ein Fehler? Wenn ich eine Einladung nach Bremen bekomme, um dort eine Keynote zu halten, ich fahre aber nach Bielefeld – das wäre ein sehr dummer Fehler, den mir das Publikum in Bremen zu Recht nicht verzeihen würde. Wenn ich aber, und das ist der für mich wichtige Punkt, Neuland betrete, beispielsweise ein Buch zum ersten Mal im Selbstverlag herausgebe, muss ich Dinge ausprobieren. Das habe ich noch nie vorher gemacht, weil das Verlage für mich gemacht haben.

Ein Fehler wäre dann kein Fehler, sondern vielmehr der Preis, den ich für das Erlernen neuer Wege und Vorgehensweisen zahle. Immer dann, wenn ich mich vom Vertrauten und Gewohnten wegbewege, werden Fehleinschätzungen und Missgriffe passieren. Der entscheidende Punkt ist: Wie gehe ich damit um? Die allermeisten Dinge, die ich in meinem Leben gelernt habe, stammen nicht aus dem Lehrbuch, sondern haben sich aus Fehlschlägen ergeben. Wenn es Trophäen für die besten Misserfolge geben würde, wäre meine Regale voll damit. Das müssen wir uns viel mehr in der Gesellschaft klarmachen – in den Schulen, Universitäten und in den Unternehmen. Fehler ist nicht gleich Fehler.

Bitte teile mit uns ein Beispiel aus deiner Erfahrung, in dem du konventionelle Erfolgsmuster in Frage gestellt und neue Lösungen entwickelt hast.

Den ersten großen Schritt in diese Richtung habe ich vor 20 Jahren gemacht, als ich meinen Job als Managerin in einer amerikanischen Unternehmensberatung gekündigt habe. Ich habe mich selbstständig gemacht, wollte Bücher schreiben, wollte mein eigenes Ding machen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich sehr viel Gegenwind bekommen habe, insbesondere von Menschen, die in der Corporate World stecken. Sie fanden es unverständlich, wie ich aus einer großen, reputationsstarken Firma ausbrechen konnte.

Sie sagten: „Mach es nicht, es wird nicht funktionieren.“ Das sind Argumente, die du hörst, wenn du dir die Freiheit nimmst, dein Leben nach deinen Vorstellungen zu leben. Du wirst von denen „gewarnt“, die zwar ständig davon reden, wie klasse es wäre, ihr eigenes Ding zu machen, es aber nicht tun. Nichts ist so unerträglich wie die Freiheit, die sich ein anderer nimmt, die man sich selbst aber versagt. Natürlich hat mich das zunächst verunsichert und zweifeln lassen. Was ich gelernt habe: Zweifel sind kein Zeichen von Schwäche, sondern wertvolle Impulse. Die Kunst besteht darin, am Zweifel nicht zu verzweifeln, sondern durch den Zweifel hindurch in die Entschiedenheit zu gehen.

Anja Förster ist Buchautorin, Keynote-Speakerin, Bloggerin und Gründerin der „Rebels at Work“, einer Initiative, die Menschen zusammenbringt und Unternehmen von innen heraus verändern will. Nach ihrem Studium in Deutschland und den USA war Anja als Managerin für die Unternehmensberatung Accenture tätig. 2002 wagte sie den Sprung in die Selbständigkeit und unterstützt Führungskräfte und ihre Teams, in einem Umfeld der Digitalisierung, Disruption und tiefgreifenden Veränderung erfolgreich zu navigieren und fit für das Morgen zu sein.

Wie wichtig ist denn deiner Meinung nach, eine Haltung des tiefen Denkens zu kultivieren? Und wie können wir sicherstellen, dass wir genug Zeit und Raum haben, um in unserem Arbeitsumfeld tief zu denken?

Das tiefe Denken ist deshalb extrem wichtig, weil Künstliche Intelligenz und Bots sehr viel besser, fehlerfreier und schneller das repetitive, automatisierte Denken umsetzen können. Die gute Nachricht: Wenn Technologie das übernimmt, sind wir Menschen frei, das zu tun, worin wir gut sind und was eine echte Wertschöpfung stiftet. Und das ist das tiefe Denken, das mit Kreativität, Engagement und Leidenschaft, neue Ideen und Projekte vorantreibt.

 Aber tiefes Denken, das hinterfragt, ausprobiert und experimentiert ist nicht in der operativen Hektik zuhause. Es funktioniert auch nicht auf Knopfdruck. Dafür brauchen wir Ruhe. Ideen halten sich nicht an Zeitpläne. Sie entstehen dann, wenn wir uns locker machen. Das bedeutet, dass ich in meinem Alltag selbst dafür sorgen muss, dass Inseln der Ruhe entstehen können. Bevor ich morgens in den ersten Videocall gehe, setze ich mich eine halbe Stunde hin und frage mich, was ist heute wirklich wichtig? Welche neue Idee möchte ich vorantreiben? Das ist meine Art der Selbstfürsorge, dass ich diese Momente in meinem Alltag integriere.

Was sollten Führungskräfte tun, damit sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter frei fühlen, neue Ideen und Ansätze vorzuschlagen?

Ideen, die gegen konventionelle Erfolgsmuster verstoßen, sind in vielen Organisationen vermintes Gelände. Folglich traut sich niemand aus der Deckung und es gibt keine neuen Ideen, sondern „Ideechen“. Die Geschmacksnote des Monats wird als bahnbrechende Neuerung gefeiert. Finde den Fehler! Ein weiterer wichtiger Punkt: Wo Angst herrscht, können neue Ansätze und Ideen, die auch mal unkonventionell sein dürfen, nicht gedeihen. Niemand will sich eine Blöße geben. Intelligente Fragen, die den Platz im Kopf vergrößern und neuen Denkraum schaffen, werden erst gar nicht erst zugelassen.
Was tun? Freiraum geben und eine experimentelle Haltung fördern. Fragen des Typs „Warum eigentlich nicht?“ auf die Tagesordnung setzen. Und Augen auf beim Recruiting: Wer ernsthaft vorhat, die Organisation zu verändern, sollte Menschen einstellen, die nicht davor zurückschrecken, mutige Fragen zu stellen. Es braucht den Willen und die Geduld, aber es funktioniert.

Wie können Unternehmen noch verhindern, dass sie immer wieder die gleichen Methoden anwenden, auch wenn diese gar nicht mehr funktionieren?

Führungskräfte haben einen Störauftrag. Es geht darum, nicht erst zu reagieren, wenn sich das Umfeld krisenhaft verändert, sondern die Organisation präventiv auf mögliche Veränderungen vorzubereiten. Das gelingt durch das Entlarven von Beharrungsenergien, durch aktives Musterbrechen und die Stärkung des Veränderungswillens. Ja, das verursacht Unruhe und es kostet Energie. Aber eine ruhmreiche Vergangenheit liefert eben keine Erfolgsrezepte für die Zukunft. Das bedeutet mit Blick auf die Befreiung aus der Routinefalle zu begreifen, dass Störung ein Wert per se ist. Aber natürlich gilt auch hier: Die Dosis macht das Gift. Dosierte Störung, nicht Störung, um der Störung willen.

Anja, vielen Dank für das Gespräch!

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