Co-Creation: Wissen gemeinsam schöpfen

Auch für Unternehmen ist diese Welt ein Ort, der immer unübersichtlicher wird. Immer schneller bieten sich technische Innovationen mit all ihren Verlockungen und Gefahren. Dabei immer aufs richtige Pferd zu setzen, scheint fast unmöglich. Umso wichtiger ist es zu schauen, wer sich in der Company für bestimmte Themen interessiert – und sich aus einem natürlichen Interesse eine Expertise aufgebaut hat, von der letztlich alle profitieren. An diesem Punkt kommt die Co-Kreation ins Spiel: Gemeinsam schneller lernen und zu beeindruckenden Ergebnissen kommen. Welche Rolle Co-Kreation im Corporate Learning spielen kann, weiß New-Work-Experte Jan Foelsing.

Jan Foelsing

Jan, was ist die „Creator Economy“ und welche Auswirkungen hat sie auf das Corporate Learning?

Du musst dir das so vorstellen: Seit 2005 kamen immer mehr neue Social-Media-Technologien auf, die Möglichkeiten für Menschen bieten, die eine besondere Fähigkeit besitzen, diese dort mit anderen zu teilen. Das sind Plattformen wie YouTube, wie Udemy, oder zurzeit auch verstärkt TikTok. Wer in einem Thema besonders gut war, oder dafür eine besondere Passion hatte, konnte auf diese Weise plötzlich Inhalte anbieten und damit seinen Lebensunterhalt bestreiten. Daraus ist die Creator Economy entsprungen. Auf einmal hatten wir viel mehr Träger von Wissen. Früher gab es Trainerinnen und Trainer, auf die wir zugegangen sind, um uns etwas Neues anzueignen. Heute können wir weltweit auf Experten zugreifen.

Unternehmen können von der Creator Economy stark profitieren – etwa durch „Co-Kreation“ der Mitarbeitenden. Was verbirgt sich dahinter?

Das Problem im Lernkontext ist zurzeit, dass es einfach viel zu lange dauert, bis wir ein neues Lernangebot bereitstellen. Die Halbwertzeit von Wissen hat in den letzten Jahren stark abgenommen. Um unsere Lernprozesse zu beschleunigen, müssen wir die Fähigkeiten und das Wissen unserer Mitarbeitenden für uns besser nutzbar machen, indem wir sie in Co-Kreationsprozessen einbinden und sie dabei begleiten. Dadurch erlernen die Co-Kreierenden auch gleich noch wichtige, digitale Fähigkeiten im Umgang mit Informationen sowie der Produktion von Inhalten. Zudem können sie in diesen Prozessen sehr viel schneller voneinander lernen, als wir ihnen neue Angebote machen können. Co-Kreation ist für Organisationen ein ganz wichtiges Thema, wenn wir die Marktdynamik für uns nutzbar machen wollen.

Jan ist New-Learning-Experte, Buchautor, Keynote-Speaker, Tool-Nerd und Gründer des New Learning Labs. Von 2013 bis 2021 erforschte er an der Hochschule Pforzheim moderne Lernformate sowie digital gestützte Zusammenarbeits-Tools als kollaborative Lernumgebungen. Außerdem ist er seit 2014 als freier Unternehmensberater tätig und auch im Start-up-Bereich aktiv. Sein Ziel: Lernen in Organisationen wirksamer und wertschöpfungsrelevanter zu machen. Seine Leidenschaft: neue Lern- und Arbeitswelten zu gestalten.

Es klingt sehr anspruchsvoll: Arbeitnehmer:innen, die noch nie mit Videoproduktion zu tun hatten, sollen auf YouTube ihr Wissen teilen? Führt das nicht zu großen Widerständen?

Ja, teilweise gibt es natürlich Widerstände. Aber ich glaube, ein Grundwert von uns Menschen ist, dass wir, wenn uns jemand um Hilfe bittet, diese Hilfe auch gewähren. Co-Kreation muss nicht immer digital sein. Sie kann auch analog funktionieren. Wir können auch in einem physischen Raum miteinander Sachen co-kreieren. Im digitalen Raum ist das natürlich für manche Menschen durchaus eine Barriere, aber Co-Kreation bedeutet nicht automatisch, Dinge für Social Media und für alle öffentlich aufzubereiten. Sondern sie kann in unserem Business-Kontext oder zwischen Organisationen stattfinden, um Probleme im Unternehmen zu lösen.

Wie sieht Co-Kreation aus, wenn sie nicht digital ist? Ist das dann ein Workshop?

Ja, auch. Du kennst vielleicht die Methode des Google Design Sprints? Das ist ein fünftägiges Format, mit dem wir ein neues Produkt oder neue Ideen entwerfen, und auch erste Prototypen dazu entwickeln können. Diese Treffen können zwar auch digital stattfinden, aber bei der klassischen Variante begegnen sich die Leute in einem Workshop-Raum, diskutieren miteinander, erhalten vielleicht kleine Impulse von Expertinnen und Experten, von anderen Fachbereichen im Unternehmen oder auch von Externen. Sie kreieren erste Lösungsideen, erste Prototypen für ein neues Produkt. Ein solcher könnte mit einem 3D-Drucker vor Ort erstellt werden. Es kommt immer darauf an, in welcher Branche wir unterwegs sind und was wir gestalten wollen.

Welche Rolle spielen selbstverantwortliches Lernen und Co-Creation in der Zukunft des Corporate Learning?

Damit greifen wir implizit den Begriff des New Learning auf. Dessen Prinzipien sind ein steigendes Maß an selbstverantwortlichen, bedürfnisorientierten Lernprozessen – und dies auch gerne in Co-Creation mit anderen. Unser Kontext wird immer schnelllebiger. Die Informationsüberflutung nimmt zu. Das heißt, wenn Unternehmen versuchen, das Lernen zentral zu verantworten und zu steuern, wird es automatisch immer mehr zu einem Flaschenhals für die Entwicklung der Organisation. Daher brauchen wir in Zukunft mehr dezentrale Selbstverantwortung, mehr Selbstbestimmung bei den Lernenden, die Teile ihrer Lernprozesse selbst übernehmen.

Wir könnten uns nun fragen: Können die das denn überhaupt? Ja, wenn wir ihnen WIRKLICH den Raum dafür geben. Der Blick aufs Private zeigt, wir haben alle die Fähigkeit, uns selbst neue Dinge anzueignen. Beispielsweise können wir, wenn wir das wollen, für unseren Sohn oder unsere Tochter ein Baumhaus bauen. Das können wir sehr schnell lernen – vielleicht mit der Hilfe von anderen. Das bringt uns wieder zurück zur Co-Creation. Selbstverantwortliches Lernen heißt nicht, wir lernen jetzt alle für uns allein im stillen Kämmerlein. Sondern wir starten vielleicht allein, um ein Problem zu lösen. Irgendwann kommen wir an einen Punkt, wo wir nicht mehr weiterkommen. Dann fragen wir die Nachbarn, Freunde oder Bekannte, die schon einmal ein Baumhaus gebaut haben. Wir suchen online nach einer Anleitung und nach Videos auf YouTube. Das schafft die Beschleunigung, die wir beim Lernen brauchen.

Wie können Unternehmen sicherstellen, dass die Inhalte von hoher Qualität sind?

Das kommt darauf an, was wir unter hoher Qualität verstehen. Der Wahrheitsgehalt sollte natürlich hoch sein. Aber wir müssen nicht das perfekte Video abliefern – ohne Versprecher und ohne Füllwörter. Wichtig ist, dass der Beitrag authentisch ist. Authentizität kommt beim Gegenüber viel besser an als ein Hochglanz-Video. Bei der Bewertung der Qualität der Inhalte glaube ich an die Kraft des Netzwerks. Wenn wir einen co-kreierten Inhalt in einem internen Netzwerk hochladen, werden wir sehr schnell auch von anderen erfahren, ob das einen Mehrwert bietet. Dann können wir immer noch regulieren. Natürlich gibt es Leute in Unternehmen, die zuerst alles kontrollieren wollen, das rausgeht. Aber dann sind wir wieder beim Thema Flaschenhals. Selbstverantwortung besteht auch darin, dass wir Inhalte, die von anderen geteilt werden, intern kritisch reflektieren und hinterfragen. Wir können immer aufeinander zugehen und noch einmal verifizieren, nach Quellen fragen, eine eigene kleine Recherche machen. Das finde ich wesentlich wichtiger und zielführender als endlose Freigabeprozesse. Diese lähmen Organisationen vornehmlich und sorgen für Stagnation und Frust auf allen Ebenen. Dies gilt natürlich nicht für alle Bereiche. Aber ich denke, dass wir von unserer Kultur her eher zu einer Überregulierung neigen. Die kann auch kontraproduktiv sein kann.

Was können Führungskräfte tun, damit co-kreierendes und selbstverantwortliches Lernen im Unternehmen gelingt?

Co-Kreation braucht Raum und die Unterstützung durch Führungskräfte, diese Räume zu öffnen und Wertschätzung für Co-Kreation zu ermöglichen. Co-Kreation in komplexen Systemen heißt auch, dass wir nicht nur in unserem eigenen kleinen Fachbereich „co-kreieren“, sondern eben vielleicht auch in crossfunktionalen Teams. Es muss die Kultur dafür gegeben sein, mit anderen Fachbereichen gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Nicht nur für seinen eigenen Fachbereich. Wir wollen doch nicht nur die Ziele erreichen, die wir bei uns im Fachbereich definiert haben. Wenn wir Co-Kreationen in unserer Organisation etablieren wollen, müssen wir diese Barrieren auflösen. Dazu brauchen wir die Führungskräfte. Wir können nicht einfach nur sagen: „Bitte, liebe Mitarbeitende, macht doch mal Co-Kreation.“ Das reicht nicht. So kommen wir leider nicht schnell genug voran. Führungskräfte sollten zum Beispiel viel Wertschätzung für den Aufwand der Co-Kreierenden geben. Vielleicht kommt nicht von Anfang an etwas Verwertbares heraus. Trotzdem brauchen die Leute ein kleines Feedback und Lob. Wir müssen ihnen das Gefühl geben, nicht für die Tonne zu arbeiten, sondern zeigen, was mit ihren Sachen passiert. 

Welche Best Practices gibt es für Unternehmen, die co-kreierendes und selbstverantwortliches Lernen in ihre Lernkultur integrieren möchten? 

Ich würde mir solche Konzepte wie Learning Out Loud ansehen – beispielsweise das Video von Gernot Kühn oder die Konzepte des SkillHacker.club. Solche Learning-Circle-Konzepte, in denen die Menschen auf dem Weg in die größere Selbstverantwortung jedoch nicht allein gelassen werden, öffnen Lernräume, die auch Co-Kreation ermöglichen. So genannte Facilitatoren sollten diese Prozesse begleiten, damit die Gruppe effektiver arbeitet und gemeinsam Strategien entwickelt. Sie können Orientierung und hilfreiche Impulse liefern, etwa zu den Themen: Wie kann ich mir ein Netzwerk aufbauen? Wie kann ich Ergebnisse der Co-Kreation sinnvoll dokumentieren? Wie kann ich etwas im Team gemeinsam recherchieren? Wenn wir das im Lern- und Innovationsbereich einsetzen, dann kann sich daraus eine kulturelle und strukturelle Veränderung in der Organisation ergeben. Das würde dazu führen, dass Co-Kreation zu einem natürlichen Teil modernen Arbeitens und Lernens im Unternehmen wird.

Jan, vielen Dank für das Gespräch!

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