Rassismus ist eine Beschämungsstrategie, die Menschen kategorisiert, herabsetzt und ausschließt. Im Sprechen über Rassismus zeigen sich diese Mechanismen ebenfalls häufig: Auch hier werden Menschen kategorisiert und ausgeschlossen – sie sollen den Mund halten oder auf eine bestimmte Art sprechen. Dabei kann das, was zwischen Menschen entsteht, auch nur zwischen ihnen gelöst werden, sagt Rassismusforscherin, Trainerin und Coach Lima Sayed. Ursprünglich richtet sich Rassismus gegen People of Color, doch eigentlich geht das Thema – unabhängig von Diskriminierungserfahrungen – alle an. Und zwar nicht nur im Privatleben, sondern gerade auch im Job.
Lima, du erforschst Diversität und Rassismus und beschäftigst dich vor allem mit „Critical Whiteness“, der kritischen Weißseinsforschung. Was bedeutet dieser Begriff?
Mit kritischer Weißseinsforschung meint man eine Neuausrichtung innerhalb der Rassismusforschung. In der Geschichte haben wir Rassismus anhand von rassifizierten Menschen analysiert: Wie werden sie diskriminiert, wie marginalisiert? Im Grunde fand durch die Critical Race Theory ein Paradigmenwechsel statt, denn wir können Rassismus nicht nur anhand der Objekte analysieren. Wir müssen auch die Subjekte innerhalb von rassistischen Strukturen miteinbeziehen – und das sind weiße Menschen.
Warum ist es so wichtig, dass wir uns in Deutschland damit auseinandersetzen, einem Land, in dem die Mehrheit der Bevölkerung weiß ist?
Genau das ist der Punkt. Rassismus wird heute nicht mehr als Randerscheinung verstanden, sondern ist ein ganz zentrales Thema, das maßgeblich ist für die Identitätsstiftung hierzulande. Indem wir uns immer nur auf die Opfer von Rassismus konzentrieren, lassen wir außer Acht, wer durch Rassismus eigentlich privilegiert wird. Denn wenn Menschen nicht großflächig Vorteile dadurch hätten, wäre Rassismus schon längst abgeschafft. Die Aufmerksamkeit auf diese profitierenden Bevölkerungsgruppen zu rücken, das ist ganz wesentlich, damit wir einen Schritt weiterkommen und Rassismus in seiner Komplexität erfassen.
Mehr zu Lima Sayed
Dr. Lima Sayed (43) ist Kulturwissenschaftlerin, Rassismusforscherin, Trainerin und Coach. Sie studierte Amerikanistik, Romanistik und Politik an der Universität Hamburg und an der University of California in Riverside. 2017 promovierte sie über „Weiße Helden im Film: Der White „Savoir Complex“ – Rassismus und Weißsein im US-Kino der 2000er Jahre“ (Transkript Verlag). Lima war Stipendiatin der Stiftung der Deutschen Wirtschaft und spricht neben Englisch auch fließend Spanisch und Farsi. Sie lebt mit Ehemann und zwei Töchtern in Hamburg.
Warum kümmern sich auch Unternehmen um Diversität und Rassismus?
Wissenschaftliche Studien und Untersuchungen von Unternehmensberatungen belegen: Je diverser Teams sind, desto innovativer, produktiver und auch wirtschaftlich erfolgreicher sind die Unternehmen. Wir sind eine multikulturelle Gesellschaft und wir können es uns gar nicht leisten, Bevölkerungsgruppen, die genauso talentiert und intelligent sind wie alle anderen, nicht auch in die Arbeitswelt zu integrieren. Sonst würden wir wertvolle Ressourcen verschwenden. Diese Diversität wollen und müssen Unternehmen abbilden. Doch diese Verschiedenartigkeit führt dazu, dass wir uns mit herausfordernden Themen auseinandersetzen müssen.
Welche herausfordernden Themen sind das?
Niemand stellt sich gern der Frage: Wie rassistisch sind wir eigentlich? Wen sprechen wir mit unseren Stellenausschreibungen an – und wer wird es letztlich in unser Unternehmen hineinschaffen? Wird in Einstellungsprozessen ein größerer Fokus auf cultural fit oder auf cultural add gelegt? Wer kommt weiter im Unternehmen und wer scheidet aus – und warum? Wie können unbequeme Fragen und Herausforderungen konstruktiv bewältigt werden? Dafür will ich eine Sensibilität in meinen Workshops schaffen.
Was nehmen deine Workshop-Teilnehmer an Erkenntnissen mit?
Ich denke, eine der wichtigsten Erkenntnisse meiner Workshops ist, dass die Auseinandersetzung mit Themen rund um Diversität sich unbequem anfühlen und dass das okay ist. Im Gegenteil, wir können nur wachsen und uns weiterentwickeln, wenn wir lernen, die eigene Komfortzone zu verlassen. Empathie und emotionale Intelligenz sind elementar, um verletzliche Themen mutig anzugehen. Denn bevor irgendwelche Inhalte entwickelt werden – in meinen Workshops oder auch im Arbeitskontext – muss die Haltung klar sein. Wenn das Wie feststeht, ist das Was leichter zu erreichen. Und auch wenn viele Teilnehmer sich eine Handlungsanweisung für heikle Situationen wünschen – unabhängig wie sie von Rassismus betroffen sind – lernen sie schnell, dass es keine Gebrauchsanweisung für menschliche Konflikte gibt.
Wäre das Thema Rassismus auch ohne „Black Lives Matter“ so groß geworden?
Lange vor BLM hatten wir schon große Probleme mit Rassismus, bedenken wir einmal die NSU-Morde, aber auch Halle, Hanau und all die unerwähnten Übergriffe, die sich hinter dem harmlosen Ausdruck „Alltagsrassismus“ verbergen und die lange Zeit nicht zur Sprache kamen. Auch wenn wir in Deutschland dazu neigen, Themen rund um Diversität (sei es Integration, Migration oder Rassismus) zu problematisieren, sehe ich sehr positiv, wie weit wir gekommen sind. Vor wenigen Jahren war es kaum möglich, das Thema Rassismus aus der Schamecke zu holen, geschweige denn in den unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft zu beleuchten. Heute diskutieren wir wenigstens! Ich denke, ähnlich wie bei der Frauenbewegung, werden die Themen Diversität und Rassismus nachhaltig verändern, wie wir uns sehen, einander verstehen und zusammenarbeiten. Ich bin überzeugt davon, dass wir alle davon profitieren werden.
Lima, vielen Dank für das Gespräch!