Zukunfts-Psychologie: Unser Gehirn braucht Klarheit

Hand aufs Herz: Selbst wir Erwachsenen erleben uns als Personen, die oft zwanghaft nach unseren digitalen Geräten greifen. Sei es, um uns zu belohnen, aus Langeweile oder um einen Moment, in dem nichts passiert, vermeintlich sinnstiftend zu füllen. Dann sehen wir unsere Kinder und sind entsetzt darüber, dass sie auch fast nonstop auf ihr Smartphone schauen: TikTok, Snapchat, WhatsApp, Instagram, Videospiele. Eine Welt der unbegrenzten Möglichkeiten. Wir fragen uns, was das alles mit uns Menschen macht. Mit unserer Psyche. Erste Antworten bekommen wir von der Zukunftspsychologie – und im Gespräch mit COCON23-Speaker Prof. Dr. Thomas Druyen.

Thomas Druyen Zukunftspsychologie

Thomas, warum ist es ratsam, sich heute schon Gedanken zu machen, wie wir in zehn Jahren leben wollen – und wo siehst du dich dann?

Kein Mensch kann sagen, was in fünf oder fünfzehn Jahren sein wird. Dieses Problem kennen wir seit Jahrtausenden. Aber wir können unseren Geist, unser Gehirn und unsere Gefühle trainieren, damit wir lernen, mit möglichen Zukünften umzugehen. Das ist die neue Herausforderung. Durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz ist die Geschwindigkeit der Veränderung exponentiell beschleunigt. Aber unser neuronales und psychologisches Fassungsvermögen ist nicht adäquat mitgewachsen.

Das gilt leider vor allem auch für unser Bildungssystem. Wir hinken diesem technologischen Fortschritt ständig hinterher. Daher imaginiere ich für mich mögliche Zukünfte, die ich aus der Science-Fiction-Literatur oder aus Filmen kenne oder in meiner Fantasie entwerfe. Was auch immer konkret in zehn Jahren sein mag, ich möchte meinen Geist und meine Gesundheit jetzt schon so trainieren, dass ich mit Überraschungen, Unerwartetem oder riesigen Veränderungen souverän umgehen kann. Die Zukunft ist für mich keinesfalls eine gewohnheitsmäßige, generationsadäquate Fortführung des Bekannten.

Die verschiedenen Generationen sind sehr unterschiedlich aufgewachsen. Seit den 1990er Jahren sehen wir eine fortschreitende Digitalisierung in Beruf und Alltag. Wie wirkt sich das auf unsere Psyche aus?

Wir machen laufend Interviews mit Menschen aus allen Generationen, in denen wir deren Vorstellung von Zukunft abfragen. Dabei regen wir an, nicht rational zu antworten, sondern eher aus dem Bauch heraus. Die Verwendung von Imagination und Intuition sind viel wichtiger. Diese Argumentation aus dem Unterbewusstsein heraus hat eine höhere Authentizität. Dabei wird sehr deutlich, dass sich die Mindsets der Menschen durch die ständige Verwendung von Internet, Smartphone und Virtualität enorm verändern. Kinder und Jugendliche, die in dieser smarten und digitalen Welt aufgewachsen sind, haben auch andere neuronale Strukturen entwickelt. Das ständige Navigieren, die Bilderflut, unzählige Mini-Entscheidungen in Sekundenbruchteilen oder permanentes Selektieren, wischen und klicken, kreieren neue synaptische Verbindungen. Das geht zwar zu Lasten der Konzentrationsfähigkeit, aber führt zu einer Beschleunigung der Wahrnehmung. All das hat psychische Konsequenzen.

Prof. Dr. Thomas Druyen ist Soziologe und Direktor des Institutes für Zukunftspsychologie und Zukunftsmanagement an der Sigmund Freud Privat Universität Wien. Er forscht über die psychologischen und neuronalen Bedingungen sowie Begleiterscheinungen der Zukunftsgestaltung, der Digitalisierung und des demografischen Wandels. Thomas wohnt mit Ehefrau und Sohn in Düsseldorf.

Inwiefern ticken Menschen anders, die diese komplett analoge Zeit, in der wir aufgewachsen sind, nicht mehr kennenlernen?

Sie entwickeln andere Wertesysteme, ethisch, emotional und rational. Sie blicken vielfach weiter über den Tellerrand hinaus. Die Zukunft des Planeten, der Natur, der Ökologie, Fragen nach Gerechtigkeit zwischen arm und reich, zwischen den Geschlechtern oder den Kulturen bewegen diese Generationen nachhaltig. Obwohl sie die längste Zukunft vor sich haben, die jemals erreichbar war, sehen sie sich bedroht. Das macht Angst, schafft Anknüpfungspunkte für Aggression und Unmut, aber auch für Flucht oder Sucht. Gleichzeitig geraten sie in die Verpflichtung, später für ältere Generationen zu sorgen, die ihren demografischen Wandel als Gruppe, als Gesellschaft und als politische Weichensteller verdrängt und verschlafen haben.

Das ist sicherlich nicht unproblematisch, oder?

Auf keinen Fall. Wir können von Glück sagen, dass die familiären und zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen den verschiedenen Altersklassen emotional bei uns immer noch sehr gut funktionieren. Das ist ein psychologischer Segen. Aber es gibt eine riesige Schwelle, die unsere Altersstufen auseinanderdriften lassen: Das ist die Einschätzung des Neuen oder speziell zum Beispiel eines Phänomens wie das des Metaversums. Wer in spielerischen und virtuellen Räumen aufgewachsen ist, hat überhaupt keine Probleme mit neuen Gegebenheiten oder der Preisgabe von Privatsphäre. Alles ist ohnehin ständig im Wandel. Für die älteren Generationen gilt aber ein anderes Mindset: Sicherheit, Kontinuität und Planbarkeit. Für sie ist das Neue eher eine Abweichung vom Status Quo und somit auch unter Umständen bedrohlich.

Wie sieht eine potenzielle Lösung aus?

Wir haben im Jahr 2018 eine Studie über die Veränderungsfähigkeit der Deutschen gemacht. Dabei haben wir herausgefunden, dass unsere Kultur eine besondere Fähigkeit besitzt, widerstandsfähiger zu sein, besonders resilient zu sein. Ich glaube aber, dass sich diese Kraft gerade ins Gegenteil verkehrt: Weil wir extrem belastbar sind, warten wir auch viel zu lange, um zu intervenieren, etwas zu verändern oder uns selbst auf den Prüfstand zu stellen. Das ist nicht verwunderlich, denn jede Stärke zieht auch eine Schwäche nach sich. Wer also in allen Lebensbelangen Sicherheit bevorzugt, der hat Probleme mit Unsicherheit und allen diesbezüglichen Begleiterscheinungen. Diese Haltung ist aber für eine Zukunft mit Künstlicher Intelligenz und exponentieller Beschleunigung äußerst ungünstig.

Kann uns die Künstliche Intelligenz helfen, die Dinge neu zu ordnen?

Der Mensch ist sehr klug, zwar nicht sehr moralisch und auch nicht sehr tolerant, aber klug allemal. Wir haben bereits die Geräte, um unsere Unzulänglichkeit zu kompensieren. Das ist die Künstliche Intelligenz. Wir sind zweifellos auf einem zukunftsorientierten Weg und viele Entscheidungen wird uns die Künstliche Intelligenz in den nächsten Jahren abnehmen können. Wir haben bald Augen, die besser sind als unsere Originale. Wir haben Exoskelette, die bald auch besser funktionieren als unsere normalen Gliedmaßen. Es ist unfassbar, was wir schaffen können. Ich sehe darin auch keine besondere Bedrohung, sondern eine Ergänzung. Aber hier müsste ich natürlich weiter ausholen, als nur ein paar Stichworte hinzuwerfen.

Was macht die fortschreitende Digitalisierung und die Verfügbarkeit von Künstlicher Intelligenz mit der psychischen Gesundheit der Menschen?

Was ist eigentlich „Digitalisierung“? Wenn du unterschiedliche Menschen aus ganz unterschiedlichen Milieus fragst, wirst du ganz unterschiedliche Antworten bekommen. Ich kenne beispielsweise viele Verantwortliche in großen Unternehmen, die selbst nicht genau beantworten können, was diese Digitalisierung alles umfasst. Viel komplexer ist die Frage nach Ausmaß und Wirkung von Künstlicher Intelligenz. Aus diesem Grund haben wir vor etwa acht Jahren an der Sigmund Freud Privat Universität in Wien mein Institut für Zukunftspsychologie und Zukunftsmanagement gegründet. Was machen die genannten Technologien inklusive Big Data, Algorithmen, Avatare und virtuelle Welten mit uns und unserer Psyche. Genau dazu machen wir Studien und darüber werde ich auch auf der COPETRI CONVENTION berichten.

Sicherlich hast Du eine erste Antwort…

Auch unsere Psyche möchte eine Antwort. Ohne Antworten kann sie gar nicht leben, sonst wird sie nervös. Vor allem, wenn sich Antworten widersprechen oder sich gar kein Sinn erkennen lässt, entsteht Unsicherheit. Bei Ungerechtigkeit, Boshaftigkeit oder Bedrohung wird angstvolle Beeinträchtigung noch größer. Das ist auch für unsere Gesundheit insgesamt ganz schlecht. Unser Gehirn funktioniert am besten bei Klarheit, ansonsten gibt es Reibungsverluste, Apathie, Depression. Wir leben in einer sozial-medialen Umgebung, in der jeder und jede alles sagen kann. Es gibt kaum mehr ein Richtig oder Falsch, das Eindeutige ist ein Auslaufmodell. Alles ist möglich. Dieses Multiversum ist für unseren Kopf und unser Herz too much! Wir brauchen ein psychologisches und neuronales Update. Diese Überfülle hat es in den letzten 5000 Jahren nie gegeben. Für diese Herausforderung bedarf es einer neuen Zukunftskompetenz, die wir erlernen und trainieren müssen. Wir nennen das Zukunftsnavigation.

Wäre eine gewisse Abstinenz von digitalen Geräten das Mittel der Wahl?

Abstinenz heißt immer, anderen die Entscheidungen zu überlassen. Nein, an die Stelle von Abstinenz, Reaktivität, Bedenkenträgerei und endlosem Nörgeln gilt es, bei sich selbst mit der Veränderung zu beginnen. Proaktivität, Resilienz und sicher auch eine Souveränität im Umgang mit neuen Technologien und mit Unsicherheit sind gefordert. Ob demografischer Wandel, ob Klimaveränderung, ob Ressourcenknappheit, Kulturkriege, Pandemien oder das Metaversum, nichts kam oder kommt über Nacht. Alles hat sich jahrzehntelang aufgebaut und wir wussten vorher davon. Unsere Ignoranz, unsere Interessengetriebenheit und unsere Verdrängung sind die eigentlichen Dramen. Eine frühzeitige und proaktive Intervention blieb aus und so kamen die riesigen Krisen erst weiter in Schwung. Insofern wird Zukunftsfähigkeit existentiell und überlebenswichtig. Vor allem die Politik muss gravierende Zukunftslücken ultimativ aufarbeiten.

 Thomas, vielen Dank für das Gespräch!

COCON25

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