Transgender: „Offenheit zahlt sich für Unternehmen aus“

Heterosexuell, männlich, weiß – wer nicht alle drei Eigenschaften in sich vereint, hat auch heute noch im Job mitunter ein Problem. Völlig verschwunden sind Witze am Arbeitsplatz über Frauen, Schwule oder Transgender-People nicht. Kein Wunder, wenn sich Betroffene wappnen und wenig über ihr Privatleben sprechen.

Transgender im Beruf - Nora Dahmer

Diese Vorsicht kann zu einer großen Belastung werden – und Kraft kosten, die Arbeitgebern verloren geht. Das weiß wohl kaum jemand besser als Nora Dahmer. Sie kennt das Leben aus verschiedenen Perspektiven. Als (männlicher) Chef hat sie ihre wahre Identität lange verleugnet. Erst mit 50+ hat sie ein neues Leben als trans Frau begonnen. Heute setzt sich Nora dafür ein, dass andere sich trauen, diesen Schritt früher zu gehen – indem sie Rückendeckung in Schule und am Arbeitsplatz erfahren. Im COPETRI-Interview erklärt sie, warum sich Offenheit für Unternehmen lohnt  und was sie zurückbekommen.

Nora, seit du Teenager warst, ist dir klar, dass du dich als weiblich identifizierst. Dein transgender Coming Out hattest du aber erst mit Mitte 50. Bereust du im Nachhinein, dass du dich erst spät zu deinem wahren Ich bekannt hast?

Als ich Teenager war, wusste man quasi noch gar nichts über das Thema Transidentität. Ich war ein heterosexueller Junge, habe mich aber als Mädchen gefühlt – oder wusste: Ich bin das. Wenn du keinen theoretischen Hintergrund hast, passt das nicht zusammen. Daher habe ich das verdrängt und unterdrückt. Im Grunde genommen hat das auch recht gut funktioniert. Daher habe ich eigentlich ein sehr glückliches Leben gehabt. Die einzige Einschränkung war, dass ich, wenn ich in den Spiegel geschaut habe, einen fremden Menschen gesehen habe. Wenn ich allein war, hatte ich sehr oft das Gefühl von Sehnsucht, denn ich konnte nicht die Person sein, die ich war. Davon abgesehen war ich beruflich erfolgreich, habe eine tolle Frau geheiratet und zwei großartige Kinder bekommen. Im Nachhinein ist alles gut, so wie es ist.

Was waren deine schlimmsten Befürchtungen, die dich lange vor dem Schritt abgehalten haben? Vielleicht berufliche Nachteile?

Ich habe 2010 im Internet von dem Thema Transidentität erfahren. Dass es diese Eigenschaft gibt, auch mit einer vernünftigen Erklärung fernab von Klischees oder Vorurteilen – einer Erklärung, die beschrieb, was ich immer schon gefühlt hatte. Es war schön zu erfahren, dass ich nicht bekloppt oder pervers bin, sondern dass das eine Laune der Natur ist. Damals war ich Mitte 40, beruflich erfolgreich, hatte eine Familie mit pubertierenden Kindern. Das wollte ich nicht aufgeben. Ich hatte Angst, alles zu verlieren und vor allem hatte ich Verantwortung für meine Kinder. Daher habe ich auch nicht darüber nachgedacht, was dieser Schritt für mich beruflich bedeuten würde. Ich hatte mein eigenes Unternehmen, war Chef und Inhaber einer GmbH mit Mitarbeitenden. Wir haben Krisen-Management-Restrukturierung gemacht. Für mich war klar, ich würde am Arbeitsplatz keine Diskriminierung erfahren, wenn ich mich outen sollte.

Trotzdem hast du dich entschlossen, die Firma aufzugeben. Warum?

Für mich war nicht vorstellbar, dass ich als geschäftsführende Gesellschafterin und somit als trans Frau bei neuen Mandaten ernst genommen und im Pitching-Prozess ausgewählt werden würde. Hinzu kommt, dass im Krisenmanagement Arbeitszeiten von 70 Stunden pro Woche normal sind. Das war immer wie eine Flucht vor mir selbst. Ich war ein Workaholic. Ich wusste, wenn ich schon mein Leben so brutal ändere, dass ich mich als Mensch komplett umstelle, will ich nicht mehr in dieses Hamsterrad.

Nora Dahmer ist studierte Mathematikerin und leitete vor ihrer Transition eine Unternehmungsberatung mit Personalverantwortung in Osnabrück. Heute ist sie als Vortragsrednerin über das Thema LGBTQIA+ tätig und hat eine Autobiografie geschrieben. Nora wohnt im Rheinland. Mit ihrer Ex-Frau hat sie zwei erwachsene Kinder, einen Sohn und eine Tochter. In ihrer Freizeit spielt Nora leidenschaftlich gern Golf.

Du hast dir eine neue Aufgabe gesucht, die dich sehr erfüllt. Was machst du jetzt?

Während meiner Coming-Out-Gespräche habe ich gelernt, dass die Menschen sehr offen, aber auch sehr verunsichert sind. Gerade wenn sich junge Menschen mehr trauen, ihre wahre Identität preiszugeben, wissen die anderen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Daher gehe ich in Schulen zu Lehrkräften und in Unternehmen zu Führungskräften – und versuche, die Menschen mitzunehmen. Ich erkläre, was in den Betroffenen vorgeht, warum sie so sind. Sexuelle Orientierung hat nichts damit zu tun. Ich war ein heterosexueller Mann, und bin jetzt eine homosexuelle Frau, ohne dass ich meine sexuelle Orientierung verändert hätte. Das bekommen die Leute kaum auf die Reihe. Das können sie nicht einordnen. Daher gebe ich diese Workshops über vier Stunden prall gefüllt mit Wissen und Diskussionen. Durch mehr Wissen kann sich die Situation für die Betroffenen entspannen. Durch Aufklärung der Multiplikatoren entsteht die Chance, dass die Betroffenen relativ konfliktfrei durchkommen, die Herausforderungen am Arbeitsplatz und in der Schule besser zu bewältigen.

Wie sieht die Situation im Hinblick auf transgender momentan aus?

Wir sind ganz normale Menschen, die teilweise unter einem erheblichen psychischen Druck stehen. Der Druck kommt aber nicht von einer angeblichen psychischen Krankheit, was viele vermuten. Sondern weil wir in einem Umfeld stecken, in dem wir unglaublich vielen Drucksituationen ausgesetzt sind. Die Menschen müssen lernen, dass wir stinknormal sind, nur eben eine besondere Eigenschaft haben. So wie andere einen Migrationshintergrund oder eine andere Hautfarbe haben.

Was können Unternehmen tun, um eine entspannte Arbeitsumgebung für Transgender-, aber auch für homosexuelle Menschen zu schaffen?

Es geht um alle Menschen, die nicht dieser heteronormativen Zwei-Geschlechter-Gesellschaft entsprechen. Das können schwule Männer und lesbische Frauen sein, Bisexuelle, Asexuelle, Intersexuelle. Als Arbeitgeber muss ich ein Umfeld schaffen, in dem allen Mitarbeitenden klar ist, dass es egal ist, welche persönliche Einstellung oder Identität ihre Angestellten haben – und dass sie das, wenn sie wollten, einfach frei ausleben können. Das kann ich nicht über Marketing-Maßnahmen erreichen, sondern nur, indem Führungskräfte als Vorbilder vorweggehen und für Aufklärungsarbeit sorgen. Wir kennen zum Beispiel die vielen sexistischen Äußerungen gegenüber Frauen oder homosexuellen Menschen, die locker gemeint sind, wo alle lachen, die vielleicht auch gar nicht böse gemeint sind. Die können jedoch unglaublichen Schaden anrichten. Es geht nicht, dass solche Bemerkungen möglich sind. Wenn von der Unternehmensführung konsequent dagegengehalten wird, dann entwickelt sich ein anderer Geist. Man spürt, dass man sich öffnen könnte, wenn man wollte. Das entfaltet Arbeitsenergie, wenn ich nicht immer das Gefühl habe, mir bei jedem zweiten Satz überlegen zu müssen, was ich sage, denn ich könnte mich verraten.

Kennst du positive Beispiele von Organisationen, die das gut machen?

Sicherlich gibt es die. Im Bundestag sitzen zwei trans Frauen, die mit allen Themen zu kämpfen haben und sicherlich viel Gutes tun, dass sich die Dinge in die richtige Richtung bewegen. Ich bin auf meine Kunden zugegangen, habe gesagt, dass ich mein Unternehmen schließe, weil ich als Frau leben werde. Das hat zunächst große Irritationen ausgelöst, weil ich im Job sehr lösungsorientiert war, die Leute bei der Hand genommen habe und losmarschiert bin. Daher kam mein Schritt so überraschend für viele. Es ist sicherlich ein positives Beispiel, dass ich mit vielen Firmen immer noch im Dialog bin und sie teilweise bei strategischen Themen berate. Es hat sich aus dem beruflichen Umfeld niemand von mir abgewendet – obwohl das sehr mittelständisch orientierte, bodenständige Unternehmen sind. Keine Dienstleistungsunternehmen, sondern Produktionsunternehmen, die sehr traditionelle Industrietätigkeiten ausführen. Trotzdem war es kein Problem, als ich denen erklärt habe, was mit mir los ist. Mit dieser Offenheit habe ich viele Türen geöffnet.

Warum ist es so wichtig, dass sich in den Köpfen etwas ändert?

Wir müssen bedenken, es ist keine kleine Minderheit von Menschen, die nicht hetero-normativ ist. Wir sprechen von sieben bis zehn Prozent. Das ist fast jede zehnte Person. Bei vielen wissen wir auch gar nicht, ob sie hetero oder Transgender sind. Wir wissen auch nicht, wie viele Selbsttötungen es gegeben hat – von Menschen, von denen wir nie erfahren werden, dass sie transident oder homosexuell waren und sich deswegen umgebracht haben.

Es wird heute viel über das Thema Transidentität gesprochen, aber zu sagen, das sei bei jungen Leuten eine Mode – das ist Quatsch. Es trauen sich einfach viel mehr Menschen, darüber zu reden. Das ist gut, denn damit ist eine große Belastung schon mal weggefallen. Ich vergleiche das mit dem Problem, das Linkshänder früher hatten. Das war in der Gesellschaft verpönt. Die linke Hand galt als die schmutzige Hand. Daher haben sie Linkshänder umtrainiert. Ihnen wurde die linke Hand auf den Rücken gebunden und sie mussten alles mit rechts machen. Heute wissen wir, dass Linkshänder andere Verbindungen im Gehirn haben und es einen Riesenschaden verursacht, jüngere Kinder umzuerziehen.

Heute kann ich Linkshänder sein, ohne dass jemand damit ein Problem hat. Das ist nun etwas Normales. Genauso ist es mit LGBTQIA+. Das ist nichts Schmutziges, sondern es ist einfach nur eine andere Eigenschaft, an die wir uns gewöhnen müssen.

Nora, vielen Dank für das Gespräch!

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